Samstag, 31. Dezember 2016

Nachtprotokoll: Salzburg an einem Ende



Murphys Law. Shelter from the storm. The storm has yet to come. Zuflucht vor Kälte, Giftqualm und der jammervollen, qualvollen Zahnpastatubenmusik. Der Mainstream beherrscht die Unkunst, mittels Coverns die Essenz eines Originals auszupressen und uns dessen leere Schale übrig zu lassen. Ein junger Mann singt als verliehen ihm Jingle Bells einen leisen Dauerorgasmus. Ein weniger Junger Mann glaubt, den Sound of Silence plärren zu müssen. Zeichen des kulturellen Niedergangs. Der Pop verliert das Einzige, das ihn ausmacht: Die kunstvolle Oberflächlichkeit.

Im Angesicht des langsamen Unterganges, ist das Pub ein Alternative-Rock-Bunker. Und das Schwarze passt mir immer. Ist auch gut für die Magengegend. Die Spanierinnen und ein Spanier bestellen Rotwein. Manche Tourist*innen legen sich also ihre eigenen Fallen. Dabei ist auf die Iren verlaß, in jeder Stadt Europas.

Ich spiele den Touristen nur. "Ich bin hier aufgewachsen, du Arschloch!", erklärte ich dem zerzausten Irren, der extra sein Haus verlassen hatte, um mich beim Fotografieren von Gebirge und Gewalde zu stören. Wie störte ich ihn? Er stand in der selben Scholle wie ich. Wir hüpften beide in Gatsch. Beide sind wir ohne Besitz auf dieser Erde.

Ich kenne den Bauern, kennt er auch mich nicht. Seine Viecher dünsten aus, was mir genauso Heimatduft ist wie die warme Waschraumluft im Keller auf dem Weg zur Bierkiste. Fehlender Schnee von den Bergen. Die selben blöden Gesichter gutbürgerlicher Spaziergänger und seltener Spaziergängerinnen, die mir das selbe vertraute Schuldgefühl anrüchig machen wie früher. Als würde die Polizei vorüberfahren. Bin immer schon Tourist gewesen in der eigenen Heimat. Vielleicht auch als Kind, aber da war's mir egal. Da nahm ich keine Rücksicht auf die Hexenjäger.

Ich kenne sie alle. Die Irren und die Gutbürgerlichen tragen stets und jeweils die selben Gewänder, hinter denen sie ihre immer gleichen Gesichter zu verbergen suchen. Sie wissen nicht, wie gut ich zu ihnen und hierher passe. Ich bin eine Schnittmenge aus beiden, Blended, keine anerkannte Zuchtrasse. Dennoch bin ich einer von ihnen. Der Irre merkt es bald und zieht sich zurück. Die Gutbürgerlichen brauchen etwas länger. Ein wenig fad ist mir aber schon im Angesicht der Gleichförmigkeit, dieser nützlichen Illusion, die irgendwann zur Wahrheit wird.

Die ewig gleichen Berge hingegen sättigen mich unendlich. Dieses kräftige Licht auf den weißen Terrassen, das grüne Widerleuchten wird nicht zuviel. Was ist der Mensch, der ich bin, wenn die Lichtfänger fehlen. Sie gedeihen auch ohne Zutun, wo man sie zulässt. Lassen statt Tun. Dort atmet die unendliche Sehnsucht in ihrer unbemerkten Erfüllung, in aller Einsamkeit.

Räumliche und andere Distanzen zu dem Menschen, den ich Tochter nennen darf. Kein Plan hierfür. Kein Plan für Silvester. Letzteres macht vielleicht dem Irren Sorge. Ersteres erträgt statt mir die Geduld, meine gutbürgerliche Untermieterin später Tage. Trägt noch mehr an den Köpfen der Hydra. Verwandtschaft kann man sich eben nicht aussuchen. Aber die Geduld wohnt auf einem starken Rücken. Der ist schief und schmal. Mein Herz hat jedoch seine Schwächen. Es ist gesund.

Ich kaufe die vernüftigen Schuhe in einer unvernünftigen Farbe. Manchmal muss man Kompromisse eingehen, wenigstens dann, wenn es eigentlich keine sind. Eigentlichkeiten sind ein Segen. Und wo ist eigentlich mein Schlüssel.

Verbrauche festes Schuhwerk auf den Fährten, trage meine Flicken in das neue Jahr. Die Nähte halten noch. Reissen an den Rissen.

Hier im Pub spielen sie die Playliste alter Freunde und alter Zeiten ab, vergessene Lieder vergessener Nächte. Das ist doch ein guter Ort. Irgendwann lernt man, mit dem zufrieden zu sein, dem es an Schlechtem fehlt. Irgendwann lernt man auch, zufrieden mit seiner Unzufriedenheit zu sein. Meine Vorbilder sind mir nahe geblieben, von Raum und Zeit noch unberührt. Von der Realität noch unbeeindruckt. Aber alles ändert sich. Es ist eine große Welt, die sich schnell füllt. Es dauert, bis die Grenzen erreicht sind und lautlos kommt die Flut. Aber wenn sie branded, wird es ordentlich krachen.

Der Sturm muss noch kommen. Das nächste Guinness ist schon da. Die Segel sind gehisst. Schwerer Anker, über viele Jahre geschmiedet. Ich habe Angst, meine Angst zu verlieren. Meine Freiheit harrt bedrohlich irgendwo da draußen in der Dunkelheit.

Nur das Denken kennt Gnade. Mein Gefühl ist ein Barbar. Der fühlt nur das barbarische Mitleid, wenn der Zorn es befreit. Es ist ihm egal, was die Esoterikerinnen und Scientologen davon halten, wenn sie ihm ihr "Mitgefühl" vorschreiben wollen als Ersatz und Besserung. Selbst und allein müsse man leiden, fühlen aber nicht ohne die Vorgabe der Anderen? So modern ist der Katholizismus wieder. Und die Menschenwelt will sich teilen, in den guten Glauben und in den schlechten Glauben, begründet Anhand von Begleiterscheinungen und als wäre beides nicht nur ein Glauben. Über Wissen wagen diese geteilten Gläubigen nicht mehr zu streiten. Das Wissen liegt auf der Straße, so verliert es an Börsenwert.

Ich habe Angst vor der Egalität. Nackte Menschen sind fragil. Eigenverantwortung ist ein Geschenk. Sie sehen es als Bürde, Beleidigung, Sünde. Wer ihnen die Verantwortung zu eigen macht, muss sich fürchten. Sie machen sich Selbstleid und Fremdgefühl zur Eigentümlichkeit. Freiheitlichkeit statt Freiheit. Imitate an Gedanken und Gefühlen und Zahnpastatubenmusik im immerwährenden Sonderangebot. Diesen kleinen Schlüssel gebe ich lieber in die andere Tasche.

Ich fürchte mich davor, meine Furcht zu verlieren. Aber der Sturm wird kommen und er wird sie davonfegen, die Furcht, die Angst, die Eitelkeit nicht ganz, dann jedenfalls, wenn nichts anderes mehr übrig bleibt. Ich spüre bereits, wie der Wind erstarkt mit der Zeit, mit der vergeudeten und der noch zu erwartenden Zeit. Der Wind ist mein Bruder. Jetzt muss er auch kommen. Ich hab's versprochen, habe es mir verschrieben. Liegt wohl an mir, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu wissen, dass ich bin.

Ich glaube an eine Göttlichkeit, die da ist. Ich weiß nicht mehr als das. Alles, was ich wissen kann, will ich nicht glauben. Alles, was ich glauben muss, kann ich nicht wissen. Zu glauben zu wissen, ist ein Wissen, das den echten Glauben formt. Beides braucht einander. Der Irre und der Gutbürgerliche bedingen einander.
Einander zu sein, benötigt eine Trennung wie die Atemluft. Aber Gegensätze, die man gänzlich trennt, verschwinden zur Gänze. Die fürchterliche Gleichförmigkeit beseitigt das Gleichgewicht.

Die Stadt errichtet Gleichförmigkeit auf den Feldern. Dort gab es vieles, als es noch nichts gab. Jetzt kommt der vielfache Nihilismus. Wenn der Architektur die Gründe einschlafen, muss man auf das Leben hoffen.

Ich habe Angst vor dem Verlust. Und wo ist der Schlüssel? Achja, andere Tasche! Der Körper erinnert sich ans Radlfahren. Auf einsamen Straßen, mit Nachtfrost überzogen. Die Kälte beisst in die Stirn. Endlich Winter! Stört nicht mehr, im Gegensatz, im Vergleich. Es gibt eine innere Kälte, die relativiert jede Oberflächenlast. Befreit für die äußere Welt, vorbereitet für das Kommende.      


 

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