Samstag, 3. Dezember 2016

Zur Erinnerung: Das Warum in der Wahlwiederholung

Man muss vielleicht zwischen der Juristerei und einer verständlichen Sprache unterscheiden. Schließlich nennt man so ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshof "das" Erkenntnis. In der Philosophie hingegen spricht man eher über "die" Erkenntnis. Das ist der Hinweis auf ein grundlegendes Missverstehen meinerseits. Daran muss es liegen, dass ich mich, je näher ich mich mit der jetzigen Stichwahlwiederholung befasse, umso weniger auskenne.

Formen ohne Inhalte

Es gab Formalfehler in gewissen Mengen. Schlecht. Die Formalitäten sollen Wahl-Manipilationen verhindern. Letztere wurden vom VfGH alledings nicht nachgewiesen. Es wird nur erklärt, dass es welche geben "konnte". Daher wurde die Stichwahl annulliert. Das ist, als ginge im Auto der Airbag hoch, weil eine Tür nicht ganz geschlossen wurde.
Aber wie kam es zum Nachweis? Belasteten die Zeug_innen sich allesamt selbst und erklärten, sie hätten zwar Formfehler gemacht, nachdem sie zuvor unterschrieben hatten, dass alles in Ordung gewesen wäre? Aber manipuliert hätten sie nicht? Oder beobachteten sie die jeweiligen Vorstehenden bloß beim Verschwinden ins stille Kammerl, wo daraufhin z.B. das illegale Öffnen von Briefwahlkarten vollzogen wurde? Was sie außerhalb des stillen Kammerls jedoch nicht feststellen hätten können. Und wenn sie doch dabei gewesen wären, hätten sie dann alles ganz genau beobachtet? Aber doch die Klappe gehalten, bis klar wurde, dass die FPÖ knapp verlor? Und dann wurde das Signal gegeben? Norbert! Sag, dass du die Niederlage akzeptierst, mein Unschuldslämmchen! Wir fechten derweil die Wahl an.

Wurde die Formalität so weit verformt, dass Manipulation wirklich möglich gewesen wäre. Als ich mein Kuvert - unwissender-, aber illegalerweise - selbst in die Urne warf, so wie alle vor und nach mir? Hätten die Wahlhelfer_innen mehrfach gefälschte Stimmzettel mit Kreuzerl für Van der Bellen bemerkt, wenn sie für mich eingeworfen hätten? Hätten sie es etwa nicht bemerkt, wenn sie das Kuvert geöffnet hätten? Hat der VfGH bei ähnlichen Situationen festgestellt, dass es deshalb keine Manipulationen gab, weil selbst die Formalfehler gar keine ermöglichten? Oder fehlten nur die konkreten Vorwürfe von Zeugen-, also teilweise Verursacherseite? Und der VfGH begnügte sich damit, nichts Genaues zu wissen?
Vielleicht war der VfGH genauso verwirrt wie ich? vielleicht unter zu großem Zeitdruck? Weshalb er letztlich nur die Möglichkeitsform von Manipulationen in den Raum stellte. Aber wie kann er sicher sein, wenn er sich nicht sicher ist? Und müsste er sich nicht sicherer sein?

Mit den Wähler_innen werden die Falschen bestraft

Selbst wenn es tatsächlich zu Manipulationen kam bzw. nach etwaigen Stimmenungültigmachungen, ließe sich dadurch nachweisen, dass Hofer Stimmen gestohlen wurden? Worauf der VfGH eigentlich hätte achten sollen: Ob die unbewiesene, aber mögliche Manipulation von relevantem Einfluss auf das Wahlergebnis war. Was nicht feststellbar ist, wenn man nicht einmal weiß, ob es zu Manipulationen kam.

Darauf achten müssen hätte der VfGH nicht. Als höchstes Institut unseres Rechtsstaat hat er die höchste Interpretations-Souveränität inne. Er darf, im Hintergrund seines Erkenntnisses, nach der Vertrauenswürdigkeit des Wahlprozesses fragen. Auch wenn das nicht seine Aufgabe ist. Währenddessen urteilen einige Kolleg*innen (Zyniker*innen) von mir, dass Österreich zu blöd zum Wählen wäre. Ein Fehlurteil. Die Wahlwiederholung ist nicht die Schuld der Wählenden, sondern die einer Minderheit der Mitarbeiter_innen in den Wahlbehörden. Dennoch hält man quasi allen Österreicher_innen vor: Falsch gewählt! Nocheinmal.

Wieviel Sünde trägt der Bock als Gärtner

Muss man deshalb die ganze Stichwahl wiederholen? Hätte es nicht genügt, die Formverfehlenden zu Abschreckungszwecken zu bestrafen? Z.B. den offiziellen Wahlanfechter H.C. "Rache" Strache, der geheimzuhaltende Hochrechnungen verbotener Weise frühzeitig veröffentlichte? Würde ansonsten nicht erst recht das Vertrauen in die Demokratie bzw. den Rechtsstaat in Zweifel gezogen werden - wie ein Argument des VfGH lautete - wenn die wahlanfechtende Partei selbst für die anzufechtenden Formfehler verantwortlich wäre? Wenn sie selbst den Grund für die Annullierung des Wahlergebnisses lieferte, als hätte sie dessen für sie ungünstiges Ergebnis geahnt oder zumindest seine Möglichkeit eingeplant? Und das ohne rechtliche Konsequenzen? Oder doch? Darüber wird ja wenig berichtet.

Immerhin waren auch Wahlhelfer_innen der klagenden FPÖ an den "Schlampereien" beteiligt, die sie erst nach Bedarf - also dem Sieg Van der Bellens - bekanntgaben. Wobei sie ihren eigenen Betrug zugaben, da sie zuvor eidesstattlich unterschrieben, dass alles konform abgelaufen wäre. Wobei sie womöglich geblieben wären, wenn Hofer gewonnen hätte. Wird das rechtliche Folgen für diese Personen haben? Weiß der VfGH genug darüber, um sich vom tatsächlichen Schlamperei-Vorgang ein Bild zu machen? Oder lässt er sich von der FPÖ ein wenig verarscherln?

Der Januskopf will's wissen - ich auch

Der einzige, der in diesem Fall Sinn für mich macht, ist ausgerechnet der freiheitliche Januskopf Norbert Hofer. Natürlich ist sein Good-Demagogue-Bad-Populist-Spiel, das er gemeinsam mit Strache treibt, leicht zu durchschauen. Es ist auch klar, dass die FPÖ mögliche weitere Manipulationen (im Altersheim) nur deshalb ein weiteres Mal zur Anzeige brachte, weil sie's für den erneuten Wahlkampf benötigt: Ein doppeltes Netz über dem Grund für ihre bisherige Anfechtung. Aber das ist wenigstens nachvollziehbar.

Auch ich würde gerne, wie Hofer es verlangte, wissen, ob es tatsächlich Manipulationen gab. Oder ob die Stichwahl lediglich einem Schönheitsfehler zum Opfer fiel, einer oberflächlichen Beurteilung. So wie Neukanzler Kern internationale Wahlbeobachter_innen nur deshalb ablehnt, weil das dem Image Österreichs schaden könnte - zusätzlich zur Wahlwiederholung selbst.

Tat-Sache VS Imagefrage

Ich erhielt also - zur Stichwahlwiederholung und zum VfGH-Urteil - mehr Fragen als Antworten. Das Einzige, das sich recht klar als Muster in den Äußerungen von Verfassungsgerichtshofpräsident Holzinger, BuPrä-Wieder-Kandidat Hofer, Ex-BuPrä Heinz Fischer und Kanzler Kern abzeichnet: Es geht nicht um Tatsachen, nicht um (Un)Taten sondern ums Image, um den Anschein. Vermutlich ist das der entscheidende Unterschied zwischen "dem" Erkenntnis und "der" Erkennntis.  

Das ist auch der Unterschied zwischen Van der Bellen und Hofer. Ersterer erscheint äußerlich nicht perfekt und sein Gegner stürtzt sich auf jedes seiner I-Tüpferl, das durch sprachliche Fehler einen inhaltlichen vorgaukelt. Letzterer ist ein Rhetorik- und Partei-Marketing-Profi. Gewinnt Hofer, dann gewinnt auch die Oberflächlichkeit, die schmeichelnde Redekunst gegenüber der Wahrheit.

Die Scheiß-Geschichte und das Scheiß-Muster

Aber das ist das Muster der Anfechtung. Es ist das traurige Muster in der politischen Menschheitsgeschichte. Sokrates wurde "hingerichtet", ermordet. Platon wurde vorübergehend versklavt. Die Redekünstler aber, die Sophisten machten politische Karriere. Zum Trost aber taugt: Die Platoniker begründeten Schulen, Aufklärung, Zivilisation und sind heute noch weltberühmt. Die Demagogen und Schmeichler hingegen kennt keine Sau mehr. Sie liegen begraben unter den Ruinen ihrer Inhaltleere.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus