Montag, 5. Dezember 2016

#BPW16: Wer die Wahl gewann

Ja, sicher! Sicher! Ich könnte mich kurz fassen: Die Wahl zum Bundespräsidenten 2016 gewann Dr. Alexander Van der Bellen. Ansonsten hat niemand die Wahl gewonnen. Es gehört schließlich zu den gesellschaftlichen Errungenschaft einer Demokratie, dass man wählt, damit ein anderer Mensch (Macht) gewinnt, von der/dem man sich am besten vertreten fühlt oder - im Idealfall - denkt.

Kein Sportereignis

Natürlich sagt es sich leicht: "Wir haben gewonnen! Wir haben es geschafft!" Tatkräftige Unterstützer*innen der VdB-Kampagne können auch durchaus stolz auf sich sein. Asonsten ist die Demokratie aber kein Fußballspiel. Es gewinnt nicht die gesamte Mann- oder Frauschaft inklusive Trainer oder Trainerinnen plus Fan-Gemeinschaft den Sitz in der Hofburg. Abgesehen davon, dass man am Sonntag eventuell seinen Hintern erheben muss, hat eine Wahl auch wenig mit sportlicher Leistung zu tun. Alle Wahlberechtigten haben einen Freistoß und der trifft immer. So eine Stimme bedeutet zwar ein hohes Recht, aber im Verhältnis wenig Macht. Und das ist auch gut so, ist der Sinn der Demokratie. Erst die Summe macht das Spiel. Für sich allein kann eine Stimme nichts erreichen, daher auch keine einzelnen "Wählergruppen".

Schlagzeilenanfall

Wenn also Wahl-Analysen eintreffen, trifft mich der Schlagzeilen-Schlag. Die Frauen entschieden die Wahl? Gewannen sie gar? Oder die Jungen? Oder die Gebildeten? Oder die jungen Gebildeten? Die Städte gegenüber dem Land? Diese Segmentierung der demokratischens Gesellschaft, diese absolute und zweidimensionale Sicht- oder Schreibweise auf die Daten ist nicht nur falsch. Sie füttern auch die populistische Spaltung der Gesellschaft mit Schlagworten.

Jede/r der/die für Van der Bellen stimmte, hat zur entscheidenden Summe beigetragen - nicht mehr und nicht weniger. Die jungen, gebildeten Frauen in den Städten hätten ihren Kandidaten alleine nicht in die Hofburg befördern können. Nicht ohne die Männer, die ebenso VdB ankreuzten. Nicht ohne die wenigen Arbeiter*innen und Pessimist*innen die trotzdem nicht Hofer wählten. Es gibt bestimmt auch ungebildete Alte, die nicht nur eine rechtsextreme Grinsekatze verhindern, sondern sogar einen Altgrünen wählen wollten. Daher gehört "der Sieg" ihnen allen und nicht nur einem einzelnen "Segment".

Stadt-Land-Schmus

Rechter Rand am Land? Natürlich wird es immer eine Diskrepanz zwischen Stadt und Land geben. Die meisten Menschen leben in Städten, die soziale Durchmischung ist entsprechend höher. Mehr gebildete Jungfrauen, von denen manche auch eingebildete Jungmänner sind, leben urban. Das bedeutet aber nicht, dass man sie nicht auch hinterm Wald fände, wenn dort auch die Baum-pro-Bildungsbürgerin-Quote eine andere Relation hat.

Am Land werden gewisse Probleme auch leichter sichtbar. Mit der Entwicklung zur Dienstleistungs-Gesellschaft kann man in Agrarregionen wenig anfangen. Vielleicht schiebt man Entindustrialisierung und "Bauernsterben" der ökologischen Strenge der Grünen in die Waldviertler-Schuhe. Auch wenn die Grünen bisher nicht bundesweit und nirgends alleine regierten. Einige werden sicher erkennen, dass die gegebene Entwicklung eher mit Globalisierung zu tun hat. Das heißt aber nicht, dass sie die Globalisierungskritik der Grünen, dieser "kiffenden Öko-Hippies", anerkennen. In den Medien spricht man diesbezüglich nur über Hofers Einstellung, weil man seinen populistischen "Öxit"-Flirt mit einem thematisch ernstzunehmenden Beitrag verwechselte.

Die Konservativen gelten traditionell als die Hüter des Bauern(be)stands. Das ist genauso tief in dörfliche Strukturen eingeprägt wie Kirche und freiwillige Feuerwehr. Hofer war bei dieser Stichwahl der einzige "Konservative". Dennoch wählten auch Landmenschen den "linkslinken" Van der Bellen. Vielleicht nahmen auch ein paar verirrte Rechtsradikale den "Grünfaschist" in der vermeintlichen "Hitlerpose" ernst.

Segmentegesellschaft, Segmentekampf

Nicht vergessen: Die Menschen sind mehr, als ihre Segmente. In den Analysen ihrer Statistiken bleiben Fragen ungeklärt. Ich ahne strategische Fehleinschätzungen für die nächsten Nationalratswahlen voraus. Der massenmediale Interpretationstanz könnte letztlich emotionale Gründe liefern, die Legitimität einer solchen Wahl in Frage zu stellen. Wenn man die gesamte Wählerschaft in bedeutende und unbedeutende Schubladen einteilt, werden sich viele Menschen wenig repräsentiert fühlen (vom Präsidenten). In Wirklichkeit wird aber jede Stimme gezählt und das gesamte Land hat entschieden - nicht seine einzelnen Wahlsegmente. Das nennt man Demokratie. Und die massenmediale Wahl-Segmentierung nennt man besser "Filetierung": Gustostückerln für die Schlagzeile, für einen "Rosenkrieg" bei den Wahlen.

Erschien auch auf Fisch & Fleisch

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