Montag, 29. Oktober 2007

Und ewig tönt der Schleudergang

Da ich zur Minderheit der nachts Arbeitenden gehöre, habe ich ein entsprechendes Minderheitenproblem: Meine Nachbarn.

Genauer gesagt ist es das Pensionistenehepaar, das über mir wohnt und dem es immer wieder gelingt meinen Schlafrhythmus empfindlich zu stören. Die Ursache erscheint unspektakulär: Da ich dank meiner Arbeit frühestens um 2 Uhr morgens ins Bett komme, hatte ich erst drei Stunden Schlaf, wenn um 5 Uhr morgens über mir die wöchentlichen Sanierungsarbeiten beginnen. Meist wird der Wirbel durch das sanfte surren der Waschmaschine eingeleitet, das in letzter Zeit mit Ende der Nachtruhe (05:30 Uhr) einsetzt und mit Beginn des Schleudergangs endet. Sofern der Mann der eifrigen Waschfrau nicht sein dröhnendes Scharchen hören lässt, ist dieser frühestens ab 6:30 Uhr mit handwerklichen Tätigkeiten beschäftigt. Zugute halten muss ich ihm, dass er sich hörbar Mühe gibt, den Einsatz schweren Geräts kurz zu halten – Doch wenn er, dreimal hintereinander, kurz seinen Schlagbohrer ansetzt und das Gemäuer zum Vibrieren bringt, schlafe ich deshalb auch nicht besser. Begleitet werden die Heimwerkerarbeiten vom ewigen Schleudergang der Waschmaschine, in das immer wieder ein Geräusch einfällt, das sich nach umher geschobenen Möbeln anhört. Außerdem sollte sich einer der beiden angewöhnen, keine Stöckelschuhe bei der Hausarbeit zu tragen.
Sofern der Arbeitslärm nicht mehr von der Decke hallt, ist es meist früher Nachmittag und mein Kopf fühlt sich wie weich gekauter Kaugummi an, in dem ein paar schwere Eisennieten stecken. Natürlich habe ich zu diesem Zeitpunkt längst aufgegeben noch einmal einzuschlafen. Einerseits hält mich die Wut wach, andererseits werden die morgendlichen Hausarbeiten meiner Nachbarn gerne von den nie endenden Bauarbeiten in den Straßen meines Stadtbezirks ergänzt und abgelöst.

Da ein hoch intelligenter, intensiv denkender Mensch mindestens 12 Stunden Schlaf – vor allem in der REM-Phase – benötigt, um überhaupt atmen zu können (vor allem wenn er nocht studiert), brauche ich mindestens 5 davon. Auch wenn keine REM-Schlafphase so lange dauert, das Gehirn benötigt eine gewisse Vorbereitungszeit für die tiefsten aller Schlafmomente.
Diese Zeit bekommt mein Gehirn schon seit einem Jahr nicht mehr und das geht langsam auf seine Substanz, was auch daran liegen mag, dass meine übrigen Körperregionen ebenfalls eine gewisse Vorbereitungszeit benötigen, um nach Dienstschluss um ca. 00:30 Uhr, überhaupt bereit für den Schlaf zu sein. Der Magen will Essen, die Zunge den entsprechenden Genuss dabei nicht säumen, die Lippen wollen die Geliebte küssen, die Lenden sind zum Glück schon zu müde und bevorzugen es sich mitsamt dem Hintern auf die Couch zu setzten, während das Spaßorgan sich noch ein wenig die Wiederholungen dämlicher Komödie-Shows ansehen will, wofür die Augen ein geduldiges Maß an Verständnis zeigen. Das Gehirn selbst will zu diesem Zeitpunkt einen Drink und die zittrigen Hände sind sogar noch bereit einen solchen herzurichten.
Kurz gesagt: Natürlich bin ich teilweise selbst schuld, wenn die Nachbarn ihre häusliche Arbeitswut zum selben Zeitpunkt anfangen lassen, zu dem ich endlich bereit fürs Bett bin. Aber man fragt sich dennoch, ob so ein Pensionisten-Ehepaar nicht vielleicht unterbeschäftigt ist, wenn neben den vormittäglichen, täglichen Waschgängen, von Morgens bis frühen Nachmittag jede Woche die halbe Wohnung umgebaut zu werden scheint.

Wenn man die akustische Belästigung durch ihre Dialoge mitrechnet, so endet der Terror niemals. Dank der Luftschächte in Bad und Toilette und der Tatsache, dass diverse Streitgespräche der beiden, durch die Klotüre bzw. aus der Badewanne heraus, begangen werden, bleiben ich und meine Lebens- und Leidensgenossin vor beinahe gar nichts verschont. Zum Glück versteht man nicht alles. Aber der leicht aggressive Unterton der derben Sprechweise, sorgt für eine unangenehme Sounduntermalung unserer Wohnatmosphäre.
Stellen sie sich vor, sie sitzen, mit Grieg und Träumen von nebelschwangeren, sanften Waldlichtungen, entspannt in einem heißen Bad und durch den Luftschacht mischen sich Laute hinzu, die an freitagabendliche Würstelbudenkonversation erinnern:
„Wüst a Hülsen dazua?“
„Jô! Gimma a Sechzehnablech! Und host no an Senf?“
„Is lâida scho âus.“
„So a Schaß! Macht nix.“ [1]

Auch ist es störend, wenn Gespräche dieser Art von oben dröhnen, während man gerade (allein oder zu zweit) mit einem sexuellen Liebesakt beschäftigt ist und sich gerade tiefster Leidenschaft hingeben möchte. Zumindest ich finde das stets irritierend, vor allem, wenn der Sinngehalt der Gespräche einem verborgen bleibt. Welcher gesund denkende Mensch verbringt einen Großteil seiner Tageszeit damit, sich über die Beschaffenheit von Küchenrollen, dem noch besseren Auftragen von Allzweck- und Möbelreinigern, dem hinterlistigen Verhalten von Staubpartikel oder der Unvollständigkeit bzw. Verbesserungswürde von Einkaufslisten auszutauschen? Pensionisten-Ehepaare vielleicht oder Menschen, die das Sehen von Fernseh-Reklame zu ihrer Freizeitbeschäftigung zählen.



[1] Übersetzung: Willst du eine Hülse (Dosenbier) dazu? - Ja! Gib mir ein Sechzehnerblech (Bier einer Brauerei aus dem 16. Gemeindebezirk in Wien). Und hast du noch einen Senf? – Ist leider schon aus. – So ein Schaß! Macht nix.

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