Donnerstag, 1. Oktober 2015

Syrien: Teufel und Details

Medienberichte über die Syrienkrise und der letzte UN-Zipfel machen deutlich: Man sagt nix, man weiß nix, aber man wird schon irgendwas machen... oder sollte, oder wolle.

Doch nicht nur der Teufel liegt im Detail. Sollte man sich für ein umfassenderes militärisches Eingreifen (Truppen auf syrischem Boden) entscheiden, wären die Details der Aktion für die jeweiligen Öffentlichkeit der unterstützenden Staaten wichtig zu erfahren.

Ziviler Test der Kriegstauglichkeit

Das muss nicht der strategischen Geheimhaltung widersprechen. Interessant wären aber gewisse Informationen, z.B über den Feind. Wer ist es (vorläufig), wie sieht seine Situation aus, welche Mittel werden für den Kampf gegen ihn bereit gestellt (vorerst unabhängig davon wie diese eingesetzt würden).

Welche Verbündeten will man gewinnen. Wie sieht deren Situation aus? Wer hat den Oberbefehl? Welche Erfahrung bringt er/sie, sein/ihr Stab mit? Truppenarten, Truppenzahlen? Wie sieht das Terrain aus? Will man direkt in gewisse Gebiete vordringen oder sich ausnahmsweise taktisch klug verhalten? All diese Details sind wichtig für die Entscheidung einer Zivilbevölkerung, einem Einsatz ihres Militärs zu zustimmen.

Krieg für Skeptiker

Ich bin vermutlich zu sehr Zyniker für den Pazifismus. Wenn schon Krieg geführt wird, dann sollten man sicher gehen, dass ein konkretes Ziel mit Verstand verfolgt wird. Diverse Staaten bombardieren irgendwelche Ziele. Das ist zu wenig Information für (m)eine Zustimmung.

Die Schlamperein der letzten Kriege in Lybien, dem Irak und Afghanistan zeugen von brachialer Dummheit, auch im militärischen Sinne, wofür vielleicht auch politische Halbherzigkeit verantwortlich ist. Man muss auch wissen, was man nach einem Sieg mit den Besiegten, dem eingenommen Gebiet machen muss.

Allianzen a la "Greatest Generation"  

Will man Syrien kriegerisch befrieden braucht es zunächst eine gut organisierte, vertrauenswürdige Allianz (womit Erdogan eigentlich schon ausscheidet). Putin und Assad - und damit den Iran - einzubinden, ist nur bedingt verwerflich.
Die "Greatest Generation" hätte die Nazi-Tyrannei nicht besiegt, wenn vom Osten her nicht ein anderer Tyrann seine Rote Armee vorangepeitscht hätte. Man verfolgt das selbe Ziel, man verhandelt über die Beute. Deshalb muss man nicht gleich best friends forever werden.

Nützlich wäre es, die Störenfriede um Syrien bzw. in der gesamten Region auszuschalten, ehe man sich z.B. um den IS kümmert. Aber das ist kaum möglich. Wer hat in Nahost nicht seine blutigen Finger in diesem Scheiß-Spiel ("Ölolpoly")?

Pro Assad mit Galgenfrist

Es gibt vielleicht auch andere Wege, die Versorgungslinien etwaiger Rebellengruppen und des IS zu stören, sollte es gelingen, Russland, die Türkei, den Iran oder Saudi Arabien in die Pflicht zu nehmen. Dabei wird man nicht alle unter einen Helm bringen. Aber wenn nur ein Teil dieser Big Spender in seinen Aktivitäten gebündelt würde, wäre das ein Fortschritt. Es würde ihnen schwerer fallen, einzelne Mörderbanden zu versorgen, wenn sie mit teils konkurierenden Mächten gemeinsam auf Feldzug wären.

Saudi Arabien: Isoliert in der Herde

Ein Bündnis pro Assad hätte die besten Chancen: Russland und der Iran wären dabei, die Türkei vielleicht. Es könnte dadurch gelingen, auch eine politische Front gegen Saudia Arabien zu bilden, das islamistische Gruppen in der Region unterstützt. Die Saudis sind zudem aktuell mit den Rebellen im Jemen beschäftigt. Eine günstige Gelegenheit.

Sich aber mit Assad auf eine Zusammenarbeit zu einigen, bedeutet nicht, dass man ihm seine Verbrechen verzeihen muss. Vielmehr sollte man seinen Dienst an der Sache als eine teilweise Wiedergutmachung betrachten, durch die er eventuell ein milderes Urteil erwarten kann, wenn der Krieg vorbei ist. Weg muss er aber früher oder später, um einen Neuanfang zu ermöglichen. Ob durch einen "Unfall" oder Exil, sei ihm überlassen.

Problemfall Erdogan und Hoffnung Kurdistan

Das Erdogan-Regime signalisierte, sich auf eine Assad-Allianz einigen zu können, um den IS zu bekämpfen. Allerdings könnte es die Zusammenarbeit mit den Kurden stören, sofern es zu keinem politischen Wandel in der Türkei kommt.

Die erfahrenen Kämpfer_innen der Kurd_innen sind meines Erachtens unverzichtbar, auch in Hinblick auf eine spätere (auch politische) Stabilisierung der Region. Sie sind verlässlichere Bündnispartner_innen als der Möchtegernsultan Erdogan, was in diesem Fall mehr wert ist als der mächtige, aber unberechenbare Militäraparat der Türkei.

Sollte Erdogan aus einem Bündnis gegen den IS (und untragbare Rebellen-Gruppen) ausscheiden, wäre es essentiell, dass er zur Nichteinmischung verpflichtet wird. Er darf nicht wieder den Kurd_innen in den Rücken fallen, die bis dahin erfolgreich gegen den IS kämpften.

Wohin führt man Kriege?


Kriege sind furchtbar. Aber Kriege ohne Ziel und Sieg sind furchtbar ohne Ende.
Wer Krieg will, muss ihn auch führen können. Allerdings fielen weder Russland noch die USA in den letzten Konflikten durch besonderes strategisches oder taktisches Genie auf. Beide Mächte - vor allem die US-Streitkräfte und ihre Verbündeten - sollten mittlerweile gelernt haben, dass man nicht allein durch Masse, High Tech, illegale Folter und hinterlistige Drohnen-Einzelaktionen nachhaltige Erfolge erzielt. (Der Erfolg heißt übrigens Kriegsende, nicht Konflikt-Verschleppung).

Erfolgschancen für Syrien


Erfolg und damit nachhaltigen Frieden kann es in Syrien nur geben, wenn vor dem Eingreifen eine stabile Militär-Allianz - bestenfalls auch mit europäischer Beteiligung - gebildet werden kann. Stützpunkte müssten in jedem angrenzenen Staat errichtet werden, die Grenzen möglichst strikt kontrolliert. Dabei sollten zumindest in den jeweiligen Landes-Hauptbasen, jeweils alle Bündnispartner vertreten sein, damit diese sich gegenseitig auf die Finger schauen können. Kontrolle ist eine vertrauensbildende Maßnahme.

Hält das Pro-Assad-Bündnis, müssten Rebellengruppen wo möglich entwaffnet und interniert, und die von ihnen kontrollierten Gebiete gesichert werden. Man sollte gegen gemäßigte Gruppen entsprechend maßvoll vorgehen, ihnen die Möglichkeit geben, sich nach dem Krieg zu rehabilitieren. Trotz eines Bündnisses darf man sie keinesfalls den Schergen Assads überlassen; auch dann nicht, wenn der Verdacht auf Kriegsverbrechen besteht.

Assads Truppen selbst müssten möglichst auf jene des IS konzentriert werden. Sobald sich ein Sieg abzeichnet, sollten die anderen Bündnispartner das von den "Regierungstruppen" kontrollierte Gebiet isolieren. Spätestens mit Ende des Krieges müsste es mitsamt den Truppen Assads unter Aufsicht und Verwaltung der Allianz gestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt hätte Assad seinen Zweck erfüllt, seine Schuldigkeit getan und müsste als Partner ausscheiden.

Schwierig bleibt es

Natürlich ist es politisch äußerst schwierig, mit Russland und dem Iran, im Nachhinein über Anklage und Prozess gegen das Assad Regime zu verhandeln. Einen dauerhaften Frieden könnte es aber nur geben, wenn die Kriegsverbrechen aller beteiltigen Konfliktparteien - möglicherweise auch jener des Irak - verfolgt und bestraft würden. Die gemeinschaftliche Kontrolle über das Land durch die Allianz könnte nur wieder übergeben werden, wenn Wiederaufbau und Sicherheit garantiert wären.

Man darf auch überlegen, unter den hundertausenden syrischen und irakischen Flüchtlingen nach geeignetem Personal zu suchen (EDIT: Ich denke an polnische Kampfeinheiten im 2 WK, die sich, ins Ausland geflohen, gegen die deutsche Wehrmacht formierten).

NACHTRAG: Natürlich wäre es schwer, Assad oder Personen um ihn für Kriegsverbrechen zu bestrafen. Unmöglich ist es aber, Untaten der USA, Russlands, des Iran, der Türkei und anderer Big Player der Region vor Gericht zu verhandeln. Darum sollte man zunächst das verfolgen, was man wirklich erreichen könnte. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Aber die Mittel entweihen auch nicht den Zweck.
Der einzige Sinn, den Krieg haben kann, ist seine möglichst rasche Beendigung. Sein Zweck ist im Falle Syriens zunächst nicht der Frieden, sondern die "Befriedung", also im Grunde die Eliminierung aller bis auf eine Konfliktpartei.
Selbst diese einfache Rechnung kann nur aufgehen, wenn die Kriegsführung konsequent, zweckmäßig und durchdacht ist - um sie zu beenden, nicht um sie in anderen Formen weitergehen zu lassen. Die größte Herausforderung wäre wohl, alle Bündnispartner auf diesen Zweck als gemeinsames Ziel einzuschwören.

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