Donnerstag, 2. Februar 2017

Integrationsstudie: Widersprüche und Frauenmangel

Ein Jahr nach Einführung der "Orientierungs- und Wertekurse" (ein "verpflichtendes Angebot") für "anerkannte Asylwerber" (und Asylwerberinnen, Anm): Das Intergrationsministerium veröffentlichte vorläufige Zahlen einer Befragung unter 900 volljährigen Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Sie bieten Raum für einige Interpretationen. Dennoch lässt sich eine positive Tendenz feststellen. 90% seien für Demokratie, 82% für die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Das große Aber-Kadabra

Allerdings wünschten sich 81% die Einhaltung religiöser Bekleidungsvorschriften - also in der Öffentlichkeit "ordnungsgemäß" verpackte Frauen. Wobei die Mehrheit vermutlich nur Frauen der eigenen Religion und/oder Ethnie meint. Schließlich akzeptieren 88% die Lebensgewohnheiten in Österreich im Allgemeinen. Das ist schon eine seltsame Frage. Würde gerne wissen, wie die übrigen 12% sie beantworteten bzw. was ihnen nicht gefällt. Der Rechtsverkehr? Oder doch die liberale Grundhaltung? Dass ungefähr die Hälfte die eigene Religion für die beste hält, ist eher wenig bemerkenswert. Dass 40% jedoch ihre privaten Regeln – in den meisten Fällen ihre jeweilige Sharia – über staatliche Gesetze stellen würden, ist schon nicht mehr wurscht. Immerhin haben wir bereits genug alteingesessene Nichtreligiöse, denen allgemeine Regeln völlig wurscht sind.

Ja, ich spreche von Dir! Der Blinker ist zum Setzen da, vor allem, wenn man mit 60 durch die 30-Zone dröhnt. Wo war ich?

Widersprüchliche Menschlichkeit

Es liegt vielleicht in der Natur einer solchen Befragung, dass sie gewisse Widersprüche aufzeigt. Nicht nur, weil manche davon menschlich sind. Würde man andere, beliebige Personen fragen, würden vermutlich ähnlich viele Demokratie super finden, die eigene Meinung (den eigenen Gott), gegenüber der Meinung anderer, aber noch superer. Und wie viele Österreicher jammern über den Staat? "Zuerst nehmen's uns alles weg und dann bleibt nix mehr für die eigenen Leut." Niemand zahlt gerne Steuern.

Aber ich will jetzt nicht mit Relationen kommen. Will nicht nachdenken, wie sich ein Erzkatholik entscheiden würde, wenn er die Wahl zwischen Bundesverfassung und päpstlicher Bulle hätte. Will auch nicht überlegen, ob Menschen, die sich gerade in einem Asylverfahren befinden, das über Leben und Tod entscheiden kann, nicht vielleicht etwas zu lange nachdenken, ehe sie eine Antwort abgeben. Der Mensch ist von Natur her ein G'schichtldrucker - unabhänig von der Intensität der religiösen Prägung oder dem Bildungsniveau.

Nicht repräsentativ

Was ich allerdings kritisieren muss: Nur 20% der Befragten sind Frauen. Ich kenne die Gründe nicht und lösche daher meine zynischen Bemerkungen wieder (was mir echt schwer fällt). Aber gerade wenn es um Fragen zum Verständnis von Geschlechterrollen in der Gesellschaft geht, sollten die weiblichen Mitglieder der befragten Gruppe nicht unterrepräsentiert sein. So wie es wenig Sinn machen würde, sich in erster Linie auf die Erziehung der zu integrierenden Männern zu konzentrieren. Alle seien gleichberechtigt in Österreich, erklären sie diesen erwachsenen Flüchtlingen, die teilweise nicht wissen, ob sie das Recht haben, hier zu bleiben. Oder wie lange. Der Kurs-Inhalt scheidet sich teilweise von der Realität. Auch in Österreich verdienen Frauen nach vor weniger für gleiche Arbeit als Männer. Hofer und Strache halten Heim und Herd angeblich für das natürliche Habitat der Frau. Was sollen unsere Werte-Schüler davon halten? Die Deutschen kamen unlängst auf die Idee, Teile Afghanistans für sicher zu erklären, aber Ungarn nicht. Andere Geschichte.

Fortschritt kann Jahrhunderte dauern

Wir sollten es besser wissen. Unsere Frauenrechte fielen auch nicht vom Pimmel. Noch bis 1975 mussten österreichische Frauen, beim Bewerbungsgespräch, die schriftliche Erlaubnis ihres männlichen Halters mitnehmen. Der feministische Fortschritt - also die Integration von Mann und Frau in ein gerechte, menschenwürdige Gesellschaft - entstand nicht in Orientierungs- und Wertekursen (für Männer). Er wurde mühsam erstritten - und zwar von kämpferischen, mutigen, sturen Frauen selbst. Von Frauen, die nicht nur den Willen, sondern auch die Möglichkeit dazu hatten und nutzten. Über die "Kampflesbe" Johanna Dohnal schimpfen manche heute noch. Im Bruno-Kreisky-Park sollte eine Birke zu ihren Ehren stehen. Die wurde von (mir) Unbekannten immer wieder niedergehackt (Jetzt steht sie woanders. Ich verrate nicht wo).

Emanzipieren für die Emanzipation

Männliche Helfer sind natürlich willkommen. Aber letztlich muss unsere Gesellschaft betroffene zentralasiatische und arabische Frauen ausbilden, ausrüsten und unterstützen, mitgebrachten wie alt-ansässigen Sexismus selbsttätig zu überwinden. Das kann auch ihren Vätern, Gatten und Brüdern helfen, sich in unsere immer noch nicht ganz gleichberechtigte Gesellschaft zu integrieren. Das kann uns allen helfen. Je mehr emanzipierte Frauen, umso mehr Emanzipation insgesamt. Ähnlich ist es mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten (unseren "Werten"). Für diese Errungenschaften wurde über Jahrhunderte gestritten, gestorben, getötet. Den Anfang machten stets Außenseiter*innen, Rebell*innen, irre Typen. Aber gute Ideen fallen auf fruchtbaren Boden und gedeihen, wenn man sie lässt.

Wir müssen Menschen, die mehr oder weniger freiwillig ein neues Leben in einem völlig anderem Land beginnen, ebenso Zeit geben, zu lernen. Und wir müssen unsere Hoffnung und Unterstützung vor allem auf ihre Kinder setzen.

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