Montag, 7. November 2016

Medienkritik: Postkausales Zeitalter

Alle reden und niemand sagt ein Wort

Halt! Stop! Die Medienwelt wird gebeten, für einen Augenblick das Drehen um die eigene Achse einzustellen. Die "klassischen" Medien sind gemeint, die sich in Opposition zu den bösen, wilden, sittenwidrigen "sozialen" Medien sehen. In Wirklichkeit beeinflussen sich beide gegenseitig. Gewisse Kolmunistinnen und -en des Reklame- und Skandal-Boulevards unterscheiden sich schon länger nicht, weder stilistisch noch inhaltlich, von so manchem hetzenden Online-Troll. Online-Zeitungsartikel sind genauso gestaltet wie Blogs, von denen es auch investigative gibt, deren Kommentarleiste die Verbindung zum schnöden Internetpöbel oder wen auch immer darstellt. Und die Verschwörungstheoretisierten mit ihrer "Lügenpresse" beziehen die Quellen ihrer überflüssigen Dauerempörtheit selbst dann aus der selbigen Presse, wenn sie aus schwindeligen und schwindelnden Blogs zitieren, die ihrerseits auch nur die althergebrachten Journale verwursten. Zum völligen Selbererfinden fehlt den meisten die Fantasie.

Der Funke Wahrheit genüge dem Flächenbrand der Lüge

Der Lügenpresse-Vorwurf beruht jedoch auch auf der morastigen Grundlage jener Medien, die tatsächlich regelmäßig Unwahrheiten verbreiten - nicht immer, aber doch auch mit Absicht. Was die Vorwerfenden nicht daran hindert, genau diese Medien in Massen zu konsumieren und daraufhin die Richtigen, also die Falschen mit Bullenkot zu bewerfen. Während die Meinungsmacher*innen, die in den Zeitungen 3/4-Seiten-Freiheit besitzen, nicht weniger mit Vorwürfen und Forderungen um sich werfen, aber selten mit Erklärungen. Der Rest des Inhalts fällt der Pseudo-Objektivität zum Opfer. Oder dem Sparkurs.

Es ist etwas faul in der Welt, das spüren selbst die Einfältigsten. Aber was oder wer oder wo? Irgendwer ruft "Flüchtlinge!" und schon brennt ein Asylheim. Darüber drückt dann das selbe Billig-Blatt für Journalismus-Allergiker die Eiterbeule seiner Dauer-Schockiertheit aus, das tags zuvor noch Generalpanik wegen "Flüchtlingswellen" ausrief.

Da hängt zusammen, was zusammen gehört. Und wie in einer schlechten Ehe werden die problemtatischen Zusammenhänge lieber ignoriert, ehe man sich entzweit. Unterschwellig wuchert jedoch das generelle Misstrauen, in Ermangelung an Reflexion, unkontrolliert gegen alles und alle. Bis man daran erkrankt. Und dann sehnt man sich einen Heilsbringer, einen Messias, der den bzw. mit dem ganzen Schlamassel aufräumt.

Donald der Trumpel: Die Personifizierung einer Krise

Als solcher stilisiert sich Donald J. Trump mit Erfolg. Auch wenn zur Zeit die Reihen seiner Höflinge schwindet. Sollte mich nicht stören. Wären die Gründe nicht so entlarvend scheinheilig. Trump äußert sich seit Jahrzehnten immer wieder sexistisch, öffentlich, ohne Reue. Das wurde von den jetzt Empörten nur nicht erkannt, weil es dem Alltagsseximus entspricht. Erst nachdem herauskam, dass er vor 11 Jahren aussprach, was der Alltagssexismus in der Praxis bedeutet - nicht-öffentlich, aber dann doch mit Reue - war die Aufregung plötzlich groß.
Es gilt im amerikanischen Englisch auch als Tabu, laut über weibliche Geschlechtsmerkmale in Zusammenhang mit Sexualität zu sprechen. "Pussy" darf man nur dann sagen, wenn man einen männlichen Feigling meint. Aber eine Vagina zu meinen und dann auch noch auszusprechen was man meint, mit ihr machen zu wollen? Es war jedenfalls eine gute Gelegenheit für die republikanische Partei, sich endlich kollektiv von Trump the Dump zu distanzieren. Erdrutsch-Ausstieg statt Erdrutsch-Sieg.

Natürlich lässt sich der Egomane das nicht gefallen. "Diese Wahlen sind manipuliert!", ruft er seiner Anhängerschaft entgegen. Jedoch warnt er davor auch nicht zum ersten Mal. Außerdem hat er, auch wenn ihm das selbst nicht klar sein dürfte, ausnahmsweise Recht.

Manipulierte Demokratie

Das ist wie mit der "Lügenpresse": Ein teilweise verlogenes System liefert dem Oberlügner die Grundlage für seine Attacken, u.a. gegen das System selbst. Es ist dennoch falsch zu sagen "Trump unterminiert die Demokratie". Dazu hatte er noch keine Gelegenheit. Im Gegensatz zu den Anderen.

In den USA werden in einigen Gegenden die Grenzen von Wahlbezirken nach Bedarf versetzt, um den Regierenden bei der nächsten Wahl Vorteile zu verschaffen. Dabei werden üblicherweise "Weiße" von "Minderheiten" getrennt. Hauptsächlich in Gemeinden, in denen „Minderheiten“ auch mal die Mehrheit sind.
Zudem werden vor allem "Schwarze", auch Latinos, im Allgemeinen jedoch Arme teils durch regionale Sondergesetze bzw. auf bundesstaatlicher Ebene , teils durch Schikanen an der Wählerregistrierung gehindert. Marginalisierte, deren Nase den Beamtinnen missfällt, haben keine Chance. Gefängnisinsassen - deren überwiegende Mehrheit Afroamerikaner stellen, die weit häufiger als "Weiße" und oft wegen Kleinigkeiten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden, womit sie auch in Freiheit und bis in alle Ewigkeit gebrandmarkt bleiben und in den Privatgefängnissen quasi als Sklaven der Privatunternehmen schuften müssen - dürfen generell nicht wählen.

Das System vergiftet sich selbst

Trump greift nicht das demokratische System an. Er ist auch nicht der Ursprung von Rassimus, Hass und Gewalt. Er ist dessen Ergebnis, der hässliche Auswurf dieses Systems, das längst an sich selbst erkrankt ist. Es waren die Rassistinnen, Hassprediger, Gewaltverharmloserinnen und Antifeministen der USA, die Trump erst ermöglichten, die ihn erschufen. Er ist das Produkt einer korrupten Politik, die die Armen seit Jahrzehnten ärmer, die Reichen - so wie Trump - noch reicher macht, mit miesen Geschäften und Spekulationen, die, trotz ihrer oft schädlichen Auswirkung für die Allgemeinheit, entweder legal sind oder mit wirkungslosen Geldstrafen bedacht werden .

Die Opfer dieser Politik sind 98-99% der Gesellschaft. Aber ausgerechnet diejenigen, die es besonders hart getroffen hat, wollen in großer Zahl das Symptom der Krankheit wählen. Verzweifelte Menschen verloren ihre Jobs an China. Diese Tyrannei in den Augen echter Demokrati*innen feiert ihren Aufstieg als Rolemodel neoliberaler Soziopathen, dank der Profitmaximierung der Unternehmen "westlicher" Demokratien. Trump motzt wegen dessen wirtschaftlichen Aufstieg. Zugleich gehört er zu den Nutznießern dieser Globalisierung. Sogar seine „Make America great again“-Mützen sind made in China.

In einer hässlichen Welt, ist die Wahrheit hässlich und die Lüge König

Hauptsächlich verdiente (und verlor) Trump aber sicherlich mit Immobilienspekulation. Durch diese steigen die Preise. Das führte bereits unter Bill Clinton zu einer Flut an staatlich unterstützten Billigkrediten fürs American-Dream-Haus. Nur nicht die Bevölkerung desillusionieren! Dem folgte ein Blasenplatzen und eine Weltwirtschaftskrise, an der wir heute noch kauen. Die Desillusionierung kam also doch. Und während an den Börsen munter weiterverspekuliert wird, wünschen sich die gebissenen Schafe nichts sehnlicher, als vom Wolf ins Paradies geführt zu werden. Warum nicht mal was Neues probieren? Der Hirte und sein Köter sind schließlich auch korrupt.

Trump sagt nicht die Wahrheit. Die Wahrheit spiegelt sich allerdings in seiner Fratze wieder. Ein unschöner Anblick. Und was für die USA gilt, gilt mal mehr, mal weniger auch für Europa. Natürlich gibt es maßgebliche Unterschiede. Die hiesigen Rechtspopulistinnen und Demagogen sind die Speichellecker der Trumps dieser Welt. Außerdem übertreibt es Trump mit seinem losen Mundwerk, mehr als alle anderen, weil er glaubt, es sich leisten zu können. Er entzaubert alles: Die eigene Partei, den illusorischen Neoliberalismus, die Parallelgesellschaft der reichen Eliten, den käuflichen "Journalismus". Gut so! Man kann am Donald sehen, wie es auch hinter dem frisierten Grinsen Norbert Gerwald Hofers, H.C. Straches, Marine Le Pens, Vitor Orbans oder Nigel Farags... obwohl, dem sieht man's auch so an.

Postkausales Zeitalter

Angeblich leben wir im "postfaktischen" Zeitalter. Aber Fakten gibt es genug. Es mangelt an Zusammenhängen. Was wieder zurück zu den "klassischen" Medien führt. Auch die bildungsnahen Kommentare und Debatten haften nicht selten an der selben Oberflächlichkeit, die man den "sozialen" Medien vorwirft – wenn auch mit mehr Grammatik. Es genügt eben nicht, die Probleme beim Namen zu nennen, wenn sich niemand traut, Ursache und Wirkung an- und auszupacken. Es genügt nicht, Appelle hinauszuschleudern. Die Macht der Kolumnistinnen und Gastkommentatoren liegt nicht darin, der Berufspolitik etwas vorzuschreiben, sondern darin, den Souverän namens Volk aufzuklären - in dessen Sprache. Das Volk muss dann die Revolution übernehmen. "Die Politik muss endlich...!" Nein, muss sie nicht. Das ist das Problem. Und warum sollte sie überhaupt etwas Bestimmtes müssen? Die Antwort darauf, nein, bereits die Frage danach kommt oft zu kurz. Aber nur sie kann für die nötige Motivation sorgen.

Es genügt manchmal, die richtigen Fragen zu stellen. Das passiert gelegentlich auch noch. So bemerkt Günter Eichberger in seinem Standard-Kommentar, dass zwar die Münder offenstehen, wenn ein Verfassungsrichter seine Privatmeinung preis gibt. Aber wenn man dabei erinnert wird, dass der VfGH selbstverständlich mit Parteifreunderln besetzt wird, bleiben die Münder lieber geschlossen. "Goschn halten, Hände falten." Denn wer weiß, wo man die Parteibuchwirtschaft für sich selbst noch brauchen könnte. Außerdem berichtet man nicht über Alltägliches - außer Flüchtlinge.

1000 und ein Märchen vom magischen Kopftuch

Bei der "Kopftuchdebatte" etwa drehen sich die Gedanken in beiden Medien um die eigene Achse. Die meisten scheinen auch nicht zu wissen, ob und wann es ums Kopftuch, die Burka oder beides bzw. alles dazwischen geht. Einige machen hierbei gleich gar keinen Unterschied. Und wirklich alle scheinen zu glauben, dass diese Kleidungsstücke über einen eigenen Willen verfüge (auch die Muslimas). Als wäre dem Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm!) der Koran nicht vom Erzengel Gabriel, sondern von einem magischen Kopftuch offenbart worden. Und sobald die Hidschab aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, würden mit ihr die islamistischen Fundis verschwinden. Natürlich ist diese Annahme deppert. Aber die Deppatte läuft darauf hinaus.

Man spricht lediglich darüber, ein mögliches Symbol religiöser Unterdrückung von
Frauen aus den Augen und damit aus dem Sinn zu entfernen. Probleme irgendwo anders hin zu deportieren, liegt ja zur Zeit im Trend. Es hinterfragt aber niemand, ob das muslimische Mädchen, das jetzt alle besorgt angaffen, sich der patriarchalen Strukturen ihrer Familie als Antifeminismus überhaupt bewusst ist. Zugleich scheint es allen gleichgültig zu sein, ob die Unterdrückung im verborgenen Haushalt weitergeht, wo die äußere Verhüllung ohnehin abgelegt wird. Zumindest den vielen übers Kopftuch jammernden Männern scheint das genauso wurscht zu sein, wie die heimliche Gewalt an nicht-muslimischen Frauen; oder die täglich Viktimisierung von Frauen im öffentlichen Leben; oder die Diskriminierung von Frauen in gewissen Berufen; oder die schlechtere Bezahlung von Frauen bei gleicher Arbeitsleistung; oder der mittelalterliche Degradierung zum Zuchtvieh in jenem Buch, zu dem Präsidentschaftskandidat Hofer und sein Parteiführer das Vorwort schrieben.

Terrorismus ist kein arabisches Wort

Darüber wird nicht getitelt, gebloggt, geklagt oder gekommentiert. Zumindest nicht im selben Ausmaß wie über die lebenswichtigen Fragen zu Burkinis und Türl mit Seitenteilen. Ich tappe ja selbst in diese Erregungsfalle hinein: Grenzzäune? Wozu? Die Misogynisten und Neonazis, die "unsere Werte" bedrohen, sind schon längst hier, die haben das Land nie verlassen. Auch darüber wird kaum debattiert, nicht einmal deppattiert. Vielmehr spricht man von den Flüchtlingen als Auslöser rechter Gewalt. Also wären wieder einmal die Anderen schuld.

Und der rechtsextreme Terrorismus? Der Nationalsozialistische Untergrund ermordet in Deutschland neun Menschen, vielleicht sogar mehr und die Medien sprechen von einer Mordserie, wenn nicht gerade von „Döner-Morden“, als gebe es da keinen politischen Hintergrund. In Deutschland werden hunderte Asylheime von Rechtsextremen attackiert. Man nennt es Unruhen. Ein Breivik-Fan, der sich für einen echten Arier hält, „läuft Amok“ in einem Einkaufszentrum (wieder 9 Tote). Und ein deutscher "Reichsbürger", schoss unlängst auf Polizisten, die er als solche genausowenig wie die Bundesrepublik anerkennt, weil Hitlers Reich für ihn weiterexistiert (einer der Beamten kam dabei ums Leben). "Terrorismus" oder wenigstens "Terror" wäre das alles vermutlich nur dann, wenn diese Faschisten „Allahu Akbar“ gerufen hätten.

Aber wehe ein deutscher Antifaschist rückt in Wien nicht nachweislich einen Mistkübel gerade. Dann gibt's einen batz'n Bahö. Nur kein medial inhaltliches, auch wenn die Parteilichkeit der Justiz - die Beweismittel ignoriert, wenn sie ihr nicht passen - offensichtlich ist. Aber vermutlich entspricht das immer noch einer Alltags-Amtswillkür und fällt deshalb nicht weiter auf.

Und was bereits beim "Amoklauf" von München kritisiert wurde, wird auch bei den "Reichsbürgern" nicht weiter verfolgt: Einzelne Bundesländer - auch in Österreich (der jüngste Polizistenmörder hat Kontakte zu Gleichgesinnten in der Steiermark) - sammeln Informationen über Rechtsextreme, aber es gibt anscheinend keine Zentralisierung der Daten, keine Koordinierung und Vernetzung , schon gar nicht EU-weit. Die Zusammenhänge fehlen auch hier. Stattdessen hält man Kopftuchverbote und das Aussperren von Flüchtlingen als Waffe gegen den islamistischen Terrorismus bereit. Der IS  zittert vermutlich schon.

Die Gefahr lauert im Stiegenhaus

Stimmt schon, Österreich ist anders. Bei uns brannte in diesem Jahr immerhin erst ein Asylheim. Allerdings hatten wir auch keinen islamistischen Terroranschlag. Trotzdem werden Notstandsverordnungen, Sicherheitsgesetze, höhere Militärausgaben und jede Menge Schwachsinn hierzulande durch diese fiktive Gefahr mit-begründet. Es geht in den „klassischen“ selten um etwas anderes, weil es in den „sozialen“ Medien um nichts anderes geht. Beide sind einander der Spiegel der Angst.

Über die größte Gefahr in Österreich zu sprechen, wäre auch weniger spannend. 2014 verletzten sich 348.200 Menschen bei Sturzunfällen, mit Abstand am häufigsten "auf gleicher Ebene". Das Bedrohlichste, das einem bei uns begegnen kann, sind nicht Kampfbomber, Sprenggürtel oder fliehende Menschen, sondern Treppen. Treppen! Vielleicht sollte man hier einmal über Türl mit Seitenteilen nachdenken.

Es stirbt auch eine halbe Million (500.000!) Europäer und Europäerinnen jährlich an den Folgend des (Passiv-)Rauchens. Die Tabakindustrie sponsert quasi das größte Massen-Selbstmord-Attentat der Menschheitsgeschichte, wenn auch auf Raten, damit's niemand so richtig bemerkt. Wenn Staaten etwas gegen diesen Terror unternehmen wollen, werden sie eventuell verklagt, zumindest die kleinen in Südamerika und Afrika. Der Guantanamo-Knast wäre übrigens immer noch offen, nur so als TTIP.  Zu fürchten gebe es auch Krankenhauskeime (EU-weit angeblich 91.000 Todesopfer jährlich), ungesundes Essen plus zu wenig Bewegung, Eifersucht in der Beziehung, eCETAra.

Die Gefährlichkeit der Alltagsprobleme ist ihre Langweiligkeit

Ein großes Medien-Spektakel wird es aber zu diesen Problemen nicht geben. Auch Durchschnittsmedien werden die thematische Oberfläche der geselligen Internetzwerke und Online-Gerüchteküchen nicht durchdringen. Und wenn sie es doch tun, kriegt es niemand mit. Weil's dann niemanden mehr interessiert. Diese Abwesenheit von Zusammenhängen und thematischem Tiefgang ist der Hohlraum, in dem sich all die Hohlbirnen mit ihren Lügen sammeln können.

Deshalb warnt die dafür eingesetzte Expertenkommission auch vor dem Abriss von Hitlers Geburtshaus. Weil das einen Pilgerstättenstatus für Neonazis nicht verhindern würde. Ausstellungsräume zum Nationalsozialismus wollen die Expert*innen dort allerdings auch nicht haben. Weil das zu einer Pilgerstätte für Neonazis werden könnte. Da muss man sich doch fragen, was kann bitteschön nicht zu einer Pilgerstätte für Neonazis werden? Und wurde es bisher zu einer solchen? Nein? Vielleicht aus dem selben Grund, aus dem sich Hilter-Fans nicht auf jenem Parkplatz in Berlin versammeln, unter dem sich des großen Abführers letzter Wohnort befand? Richtig: Denn Hitler lebt! Scherz beiseite.

Bekennende Neonazis leben im Keller. Sie wollen nicht dermaßen sichtbar sein wie der Alltags-Faschismus (oder der Alltags-Sexismus). Noch nicht. In den "sozialen" Medien geben sich zumindest die unspezifischen Faschisten und ihre weiblichen Untergebenen bereits zu erkennen.  Die überdurchschnittlichen Faschisten halten sich noch ein wenig zurück, bewegen sich im Verborgenen. Und die Kommentatorinnen und Kolumnisten aller Art, sogar gleichgesinnte Gutmenschen, Sozialistinnen, Antifaschist*innen wollen, dass das so bleibt?

Wer wegsieht, rennt irgendwann dagegen

Das ist ein großer Fehler. Ich will, dass diese Menschen sichtbar werden. Ich will, dass sie sich auf der Straße versammeln, dass sie so offen ihre Menschenverachtung aussprechen wie Donald Trump. Ich will, dass die islamistischen Fundi-Eltern ihre Töchter in Burkas hüllen, ebenso die Frau Mama und die Omama, und dass die Männer ihre Anti-Schnauzer tragen, damit ich erkennen kann, wer die Fundis sind. Ich will sehen können, wo das Problem liegt.

Erst wenn man erkennt, kann man Ursachen erforschen und Lösungen finden. Die aktuelle Berufspolitik bemüht sich hingegen vor allem um kosmetische Eingriffe. Warum auch nicht? In den Medien aller Projektionsflächen geht es schließlich auch primär darum, was jemand sagt und nicht warum.

Warum wird jemand zum islamistischen Fundamentalisten, zur Faschistin, zum Neonazi, zum Internet-Troll? Man will Netzneutralität, aber kann nicht akzeptieren, wenn im großen virtuellen Freiraum auch der ganze gesellschaftliche Dreck hochkommt. Unsere Menschen-Natur ist dreckig. Der ganze „Hass“, der seit Neuestem, aber eigentlich schon immer unter Straches Web-Auftritten zu finden ist, sucht nicht seinesgleichen. Die Welt ist voll davon. Geht einmal mit mir spazieren durch die Gassen, durch die Beisl. Ihr werdet hören, dass der Hass nicht allein ein Internetphänomen ist.

Abgesehen davon: Das "Geburtshaus" ist genau der Ort, an dem selbst Adolf Hitler noch ein unschuldiges Kind war. Ich wünschte mir eine Ausstellung, die diese Tatsache seinen späteren Taten gegenüberstellt und den Leuten erklärt, wie er zu so einem Tyrannen werden konnte. Und wie man auch heute noch zu so einem werden könnte. Wer oder was einem dazu machen kann. Niemand ist oder wird allein.

Was soll das GeCETA?

Und was ist eigentlich mit CETA? Da sind alle ganz schlau, wenn es darum geht, zu erklären, was offensichtlich ist. Natürlich wollen alle Mitglieder der EU bzw. deren Regierungsmitglieder das Beste für sich herausholen. So eine Chance kommt nicht wieder – jedenfalls nicht für die Wallonen, ihre Zentralregierung zu piesacken. Und Visa-Erleichterungen für Bulgarien und Rumänien sollten im Interesse jener Mitteleuropäer_innen sein, die sich seit Jahren davor fürchten, vom Osten, aufgrund der EU-Freizügigkeit überrollt zu werden. Dann könnten sich nämlich einmal die Kanadier*innen umsonst fürchten.
Was ist aber mit dem Nicht-Offensichtlichen? Was steht eigentlich im Abkommen drinnen, wenn man die juristische Sprache übersetzt, diverse „Beipackzettel“ inklusive? In mir wächst allmählich der Verdacht, dass niemand die mehr als 500 Seiten Rohmaterial genau studierte. Ich geb's zu, ich kam auch noch nicht dazu. Dennoch gelten die jeweils Anderen, die totalen Befürworter bzw. die absoluten Gegnerinnen, als vollkommene Brut des Bösen. Absolutismen ohne Ahnung. Nicht nur auf Facebook.
Man spricht von einer historischen Chance/Gefahr. Seit sieben Jahren warten alle darauf. Alle, außer der Handel. Der macht munter weiter. Die Vorteile für ihn sind ohnehin umstritten. Gegnerinnen sehen in CETA die Generalprobe für eine drohende neue Weltordnung der Großkonzerne. Und ich dachte immer, dass es die schon längst gibt.

Aber was soll man schon glauben? Man hört und liest in den Berichten über die Wallonen, die blockierten. Aber warum und warum wirklich, erfährt man genauso selten wie inhaltliche Argumente der Ceta-Befürwortenden. Andererseits hinterfragt auch niemand das allgemeine Narrativ, wonach die EU sowieso nichts richtig machen kann. Sie gilt als schwach, weil sie nicht einfach über ein Mitglied drüberfährt. Aber wehe sie will in allen Staaten Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen durchsetzen, dann gilt sie als übermächtig. Es wundert sich auch niemand, dass der boreale Sunnyboy Justin Turdeau bzw. seine Handelsministerin das mangelnde Selbstbewusstsein der EU ausnützt und dass die Euro-Chefitäten dabei kräftig mithelfen. Medien sowieso.

Im ORF nannte man das souveräne Entscheidungsrecht der Wallonie "Erpressung". So als hätte niemand die EU so gestaltet wie sie heute ist. Als wäre sie irgendwie herausgerutscht. Hätte die Wallonie diese Möglichkeit nicht gehabt - sowie zunächst Deutschland, Österreich, Rumänien, Bulgarien und alle anderen - und die anderen Staaten wären tatsächlich drübergefahren, hätte man von "EU-Diktatur" gesprochen. Hauptsache Drama, Dokutainment.

In den Medien werden hauptsächlich unbedeutende Floskeln zitiert, wenn nicht gerade eine Krise herbei-getitelt wird, die es ansonsten vielleicht nicht gebe. Der Eine sagt dies, die Andere sagt das, dazwischen sagt niemand was. Betrifft auch andere Themen. Wer sich eine Meinung bilden will, kommt mit den alten Medien nicht weit. Die klagen dann darüber, wenn wir uns deshalb im Internet selbst auf die Recherche machen. Wobei viele, auf dem Weg dorthin, am Nonsense der "sozialen" Spinnennetzwerke hängen bleiben. Ein Kreislauf des gegenseitigen Ärmermachens.

Wer einmal lügt...

Ich bin grundsätzlich skeptisch. Unsere EU-Kommission bzw. EU-Regierungschefparty beginnt immer erst dann mit „Nachbesserungen“, wenn aufgrund irgendwelcher Leaks und investigativen Wahrheiten der (teils auch eingebildete) öffentliche Druck zu groß wird. Und so sympathisch der neue kanadische Premier auch erscheinen mag, er ist halt leider doch nur ein Liberaler (Liberale = die Esoteriker*innen der Parteipolitik). Die Griechenlandkrise hat auch sehr deutlich gezeigt, wie selektiv oder schlampig selbst seriösere Medien über komplexe Finanzwirtschaftsthemen berichten.

Und warum sollte man den Extremisten beider Positionen vertrauen? Mit Bundeskanzler Kern hat man endlich einen, der die Sache sachlich, kritisch und offen angeht. Aber gerade dafür wird er von Rechts und Links abgewatscht. Die moderne Medienkultur erlaubt eben keine Mäßigung. Sie kann nur in Extremen darstellen und denken. Die Vernunft ist eine Spaßbremse für all die vernetzten Drama-Queens, die den Kick der radikalen Polarisierung suchen. Immer "wir gegen die" rufen, aber die Demokratie retten wollen! Da kriegt man doch Lust auf Gewalttaten.

Mind Games

Wir streiten gerne über eine oberflächliche Sittlichkeit und selbst diese können wir nicht genau definieren. Da hat einer etwas gesagt, das sich nicht schön anhört. Aber über die Beschaffenheit der Gründe von moralisch Gutem und Schlechtem wird nicht verhandelt. Warum könnte er es gesagt haben, warum empfinden wir es als unschön? Sowohl die "sozialen" wie auch die "klassischen" Medien verwandeln sich in einen einzigen Make-Up-Vlog: Alle diskutieren darüber, dass da etwas übermalt wird. Aber niemand fragt warum, woher das Zeug eigentlich kommt, woraus es besteht und wieso ich mir das überhaupt antun sollte. Im übertragenen Sinne, nix gegen Make-Up-Tutorials!

Das alles erinnert mich wieder einmal an John Lennon: "Everybody's talking and no one says a word." Strange days indeed. Aber das führt notwendig zu einer Gegenbewegung. Jede Abwärtsspirale aus wechselseitigem Ärmermachen erreicht irgendwann ihr Endziel. Irgendwann werden wir es uns nicht mehr leisten können, dass sich niemand mehr Qualitäts-Medien leisten kann, die sich wiederum darum niemand mehr leisten kann. Und wenn die Gegenbewegung so massiv ausfällt wie die aktuelle Entwicklung, können wir uns freuen.


 


 

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