Dienstag, 29. November 2016

Alle Jahre wieder: Bettelmafia annektiert Weihnachtsmarkt



Gestörter Weihnachtsfrieden

Die Adventzeit rollt an. Christkindlmärkte eröffnen. Als Viel-Öffifahrer erkennt man das sofort, an der erhöhten Anzahl temporär gehbehinderter Fahnenträger*innen in der heimkutschernden Bim. Dort hat man auch Gelegenheit, das einseitige, aber dafür großformatige Angebot an Printmedien zu nützen, das andere Fahrgäste einem vor die Nase halten. So weiß ich, dank der Tageszeitung "Österreich", dem regelmäßig erscheinenden Bildband für avantgardistische Fotomontagen: "Bettelmafia immer aggressiver". Und nicht nur das! Sie würden auch neueste Tricks anwenden, um hilflose Weihnachtseinkäufer*innen um ihr Geld zu bringen. So sieht man einen jungen Mann, der die Hand aufhält und Geld "fordert". Ich muss zugeben, dass mich diese Neuheit an etwaige Ess-Diäten erinnert, die jede Woche in Frauenmagazinen als "jetzt neu" angepriesen werden (wenn man nur lange genug wartet, ist auch die Frankfurter-Würstchen-Diät wieder aktuell). Aber ich bin doch sehr froh, vorgewarnt zu sein. Möglicherweise fordern diese Fordernden tatsächlich anders als all die anderen Schnorrer, die mich in Wien täglich grüßen.

Bettelnde Banden, Wackere Werbeleute, dankbares Christkind 

Die Bettel-Banden werden jedenfalls, wie im letzten Advent, immer mehr! Sicherheitshalber sollte man niemanden mehr etwas geben, um die Bettelnden vor Ausbeutung und den Adventmarkt vor Bedürftigen zu bewahren. Machen sie auch bei Straßenmusikern, Weihnachstmännern und adretten Jungmenschen mit Klemmbrettern und Sammelbüchsen keine Ausnahme. Man kann nie wissen, mit welchen Tricks die Bettel-Mafia als Nächstes kommt. Das Christklindl wird es uns danken! Ebenso Walter Hillerer, Leiter des Büros für Sofortmaßnahmen der Stadt Wien - vor allem, wenn es sich um den selben Walter Hillerer handelt, der im Aufsichtsrat der Wien-Marketing GembH sitzt. Er dürfte sich besonders gut mit gestörten Christkinlmärkten auskennen und half der "Österreich" bei ihrer Recherche.

Man muss es den Leuten von der "Österreich" hoch anrechnen, diese Geschichte erneut aufgedeckt zu haben. Immerhin sind sie keine ausgebildeten Journalist*innen. Sie sind - ihrem Medium nach zu beurteilen - lediglich Werbefachleute, die von Berufs wegen eigentlich eine gewisse Fakten-Distanz einhalten müssen. Dieses Hindernis überwanden sie dennoch durch äußerste Kraftanstrengung.

Des Boulevards Freund und Helfer

Dabei stand ihnen wieder einmal ein ganzer Freund und Helfer zur Seite, diesmal aus Klagenfurt. Eine wunderbare Tradition! Seit mehr als einem Jahrzehnt dienen (neben manchen betroffenen Geschäftsleuten) hauptsächlich bzw. ausschließlich einzelne Polizisten als Whistleblower gegen die berüchtigte Bettel-Mafia. Vom Herren Major Tilli lernen wir heute, dass das Einsperren illegaler Bettler nichts brächte. Deren Mafia-Paten würden sie ohnehin auslösen, weil die Fachbettler*innen im Häfn weniger wert wären als auf der Straße. In Kärnten beträgt die Geldstrafe € 700, exklusive Verwaltungsgebühren. Die Ersatzfreiheitsstrafe läuft zwei Wochen. Die einzelnen Bettler*innen dürften also einen Zweiwochenumsatz von mehr als € 700 machen, sagen wir mindestens 60 €uro pro Tag - und das allein in Klagenfurt. Ansonsten würde sich der Freikauf für die Bosse kaum rentieren. Ein Wahnsinn! Da könnten wir ja alle betteln statt arbeiten gehen, wenn wir uns einmal eine Denkpause gönnen.

Die andere Erfahrung

Autor*innen, die keine Polizist*innen sind, sondern im sozialen, wissenschaftlichen, journalistischen, teils politischen Bereich arbeiten, sich ausführlich mit den Bettler*innen selbst auseinandersetzen, mit ihnen sprechen und ihre Herkunftsorte bereisen, um auch dort nachzuforschen, würden diesen Tagesumsatz vielleicht anzweifeln. Außerhalb der Werbefachleute-Polizei-Beziehung gewisser Reklame-Zeitungen, finden sich überhaupt kaum Hinweise auf die Existenz gewaltiger Bettel-Organisationen aus Osteuropa. Gewalt und Missbrauch von Menschen mit Behinderung fände - wie übrigens auch bei uns - eher in der eigenen Familie statt. Oft würden sich auch verarmte Freunde und Bekannte "organisieren", weil man organisiert angeblich besser durchs Leben käme (was mir, wie ich gestehen muss, völlig neu ist).

Die Bettel-Mafia ist nicht zu fassen

Wem soll man da glauben? Nicht etwa der reichen Erfahrung des Stadtmarketings. Es erforscht seit Jahren die Gemütsstimmung genervter Standl-Besitzer*innen. Oder den Beamt*innen, die sich ebenfalls ausführlich mit den wegen Aggressivität verdächtigten Bettlerinnen beschäftigen? Die sie verhaften (weil sie keinen Hund haben und auch sonst nur entfernt an Punks oder Fundraiser erinnern). Die sie auch schon nackt gesehen haben (weil sich Bettler*innen auf der Wachstube entkleiden und nach Waffen untersuchen lassen dürfen). Die sie einsperren (obwohl das, wie wir bereits erfahren haben, nichts bringt). Die das erbettelte Geld beschlagnahmen (damit die bösen Hintermänner es ihnen nicht wegnehmen können).

Und seit Jahren jagen Polizei und Boulevard nach den berüchtigten Mafia-Bossen. Weil sich die dreisten Bettler*innen unverschämterweise oft nichts nachweisen lassen und man sie nach einigen Stunden wieder gehen lassen muss. Weil die nur in seltenen Fällen von Bossen sprechen. Eine Erfahrung, die wiederum auch Sozialarbeiter*innen machen (die haben also auch keine Ahnung). Und weil das eigentlich gar nicht die Aufgabe unserer lokalen Polzei ist, intereuropäische Verbrecher-Chefs zu jagen.  Sie hat schließlich genug zu tun mit ihrer eigentlichen Aufgabe: Stadt- und Christkindlmarkt-Verschönerung. 

Wie alle Jahre

Da fällt mir zum Glück gerade ein, dass mich das Thema überhaupt nicht interessiert. Sollte ich mich auf Christkindl-Gebiet verirren, werde ich mich mit heißem Punsch bewaffnen - wie alle Jahre. Falls mich irgendjemand gewaltsam um Geld oder eine Unterschrift bitten oder zum Hören anderer blöder Fragen zwingen möchte, weiß ich mich zu verteidigen - wie alle Jahre. Ich werde die Adventzeit also wahrscheinlich genauso verbringen wie alle Jahre wieder. Aggressiv, aber ungestört.

Beispielhaft

Zufällig begegnete ich vorhin einem jungen Mann, der mit höchst aggressiver Gelassenheit und Charme vorging, in dem er höflich meine Fist bumpte und daraufhin mein Erscheinungsbild lobte. Er wollte mich allerdings nicht anbraten, sondern Kaffee-Kleingeld von mir (diese Jugend hat auch nur das Eine im Kopf). Als ich ablehnte, verabschiedete er sich erneut höflich und bedauernswert. Er hatte offenbar noch nichts von der neuesten Aggressivität gehört, die man sich als Bettler dieser Tage zulegen muss. Das widerlegt übrigens nicht den Bericht des Reklameheftchens aus den Öffis: Der Mann kam augenscheinlich nicht aus Osteuropa.

Artikel erschien auch auf Fisch & Fleisch

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