Samstag, 30. April 2016

Rechtsruck: Angst vor dem inneren Fremden



Männlichkeit und Widersprüche


Ich bin sicher nicht der erste Mensch mit WG-Erfahrung; auch nicht der einzige Mann in einem “Frauenhaushalt”, der keine sexuelle Beziehung mit mindestens einer seiner Mitbewohnerinnen hat. Ich pinkle außerdem im Sitzen und putzte (trotzdem) soeben Badezimmer und Toilette (Ja, sicher gründlich). Diese Tatsachen genügen, um von anderen Männern, aus anderen sozialen Gefügen, als “unmännlich” betrachtet und bezeichnet zu werden (Ich wollte es auch nicht glauben). Das sind meist die selben Typen, die keine Asylwerber in Österreich wollen, weil diese ein primitives Geschlechterrollenbild importieren würden. Wobei sie allerdings auch Frauen und Kinder ablehnen, die ohne Männer ankommen.

Gefürchtete Triebtäter: Persönlicher Erfahrungsraum 

Als Kind wurde mir von mehreren Seiten verboten eine Abkürzung zur Volksschule zu nehmen, die teilweise an einem Waldrand entlang führte (und mir sicher einen halben Kilometer erspart hätte). Erst später fand ich heraus, warum. Eine Nachbarin, die im Wald immer mit ihrem Burli gassi ging, wurde dort eines Tages von einem Mann überrascht, der nichts weiter unter seinem Mantel trug. Er wurde allerdings vom Rauhaardackel mit der Stimme eines Rottweilers in die Flucht geschlagen.
Ich war auch nicht der einzige Volksschüler, dem ein Fremder in Waldesnähe anbot, ihn im Auto mitzunehmen. Zwischen den Bäumen entdeckten wir Kinder, die im erlaubten Randgebiet neben unserer Siedlung spielten, eines Tages einen Mann, der in einiger Entfernung von und vor uns onanierte. Natürlich wussten wir damals noch nicht, was diese seltsame Handbewegung bedeutete, waren aber skeptisch. Er floh, ehe wir eine Erwachsene holen konnten.
Einige Jahre später erfuhr ich, dass ein Nachbarskind – das die verbotene Schulwegabkürzung benützte – von einem Mann in den Wald gezerrt wurde. Das Glück im Unglück war, dass sich der Kerl dort, vor weiterem Unheil, zusammenriss, das Kind stehen ließ und selbst bei der Polizei stellte.

Befremdliches auch ohne Fremde

Alle diese Fälle hatten nichts mit Flüchtlingen, Muslimen oder Männern aus dem arabischen oder zentralasiatichen Kulturraum zu tun. Sie geschahen alle in meiner alten Heimat, in Salzburg, innerhalb einer begrenzten sozialen und geografischen Örtlichkeit, eines relativ überschaubaren Erfahrungsraumes. Es ist daher anzunehmen, dass es um einige mehr gibt, die österreichweit stattfanden und -finden. Medial und poltisch wird allerdings nur dann auf sie eingegangen, wenn die Täter Ausländer sind - nicht nur fremd, sondern das Fremde ansich oberflächlich widerspiegelnd.

Unvernunft ist immer in Bewegung 

Von Medien solcherart manipuliert, fürchtet ein großer Teil der Bevölkerung die Asylwerber_innen als “Überfremdung”, als “Grapscher und Vergewaltiger”. Den Geängstigten erscheint die eigene Angst immer gut begründet, egal wie irrational sie ist. Als scheinbares Gegenargument wird die Angst abgestritten. Da es ihm aber weiterhin an Logik mangelt, müssen Unwahrheiten vorausgesetzt, Vorurteile untermauern werden, um die eigene Angst weiterhin zu legitimieren - ein Selbstbetrug.
Dennoch bleibt es – genauso wie politische Maßnahmen gegen das Asylwesen, gegen Menschenrecht und Moral – eine Angsthandlung. Was sich auch dadurch zeigt, dass niemand in der Lage ist, sie rational zu begründen. Es wird nur ein Anschein von Rationalität vorgegeben, der nie lange hält und stets durch ein neues Pseudoargument ersetzt wird. Man springt lediglich von einer Ausrede zur nächsten Ablenkung, ehe sie jeweils entlarvt werden - wie ein Frosch über Seerosenblätter, die bei jeder Landung sofort versinken. Und wenn man nicht mehr entkommen kann, weil es keine Ausreden mehr zu bespringen gibt, stellt man sich tot und ignoriert die Fragenden.

Eigenangst: Woraus soll man sonst schließen?

Wenn “echte Männer” jemanden als “Schwuchtel” bezeichnen, nur weil er mehr emotionale Reife besitzt, sich aber zugleich von den Machos aus dem Orient fürchten... wenn Neofaschisten zu Gewalt und Zensur gegen Andersdenkende und Verfassungsbruch aufrufen, zugleich aber vor Islamisierung und Sharia warnen... wenn sich Dorfbewohnerinnen, in deren Gemeinden kein einziger "Ausländer" lebt, sich vor den Sexualtrieben arabischer Männer fürchten, zugleich aber ihren Pfarrer gegen Vorwürfe des Kindesmissbrauchs verteidigen (weil's immer schon so war): Dann zeigt sich doch, dass die größte Angst in unserer Gesellschaft, die Angst vor dem Fremden in uns selbst ist. Kann auch selten anders sein: Denn über das oberflächliche Fremde der Fremden kennen wir hauptsächlich Gerüchte. Wir greifen daher auf die naheliegendsten Ängste zurück, auf die Ängste, die, aus unterschiedlichen Gründen, bereits in uns sind.

Eigenlogik in die Unfreiheit

Weil "echte Kerle" ihre Frauen gerne selbst so behandeln würden wie arabische Vielweiberer... Weil Neofaschisten und Islamisten vom selben anarchistischen Hass angetrieben werden... Weil viele Dorfbewohnerinnen längst und regelmäßig Erfahrung mit sexueller Gewalt mach(t)en - oft zuhause: Sie schließen daher von ihren Eigenängsten (unseren eigentlichen Ängsten) auf die Wesenswirklichkeit anderer. Medien helfen ihnen dabei - für Schlagzeilen. Populist_innen nützen es aus - für Wählerstimmen.
Wer sich von seinen Ängsten befreien kann, kann frei denken und strebt in der Regel nach politischer Entsprechung (aufgeklärte Demokratie universaler Menschenrechte). Wer sich von Eigenängsten kontrollieren lässt, bleibt in seiner Eigenlogik gefangen und strebt politisch nach entsprechendem, nach dem, was zu denken übrig bleibt (z.B. Freiheitlichkeit: Dem Anschein von Freiheit).

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