Dienstag, 17. November 2015

Den Terror nicht fortschreiben

Die Wunden sind frisch, verständlich emotionale Reaktionen nach den Anschlägen in Paris. Doch es lebe die Republik! In ihr herrscht Säkularismus. Im bürgerlichen Islamismus-Diskurs nicht unbedingt. Gewisse Fehler sollten vermieden werden.

Im Islam daham?

Eric Frey (Der Standard) schreibt am Ende seiner berechtigten Warnung vor zu viel Säbelrasseln gegenüber den Terroristen: „Ein „Krieg“ gegen den Jihadismus aber droht viele europäische Muslime weiter zu entfremden.“ Eine unvorsichtige Formulierung. Man könnte verstehen, Muslime würden mit Befremden reagieren, wenn der „IS“ stärker als bisher bekämpft würde. Als wäre er mit ihrer Religion gleich zu setzen?
Reinhard Schulz (FAZ) glaubt, eine Annäherung an die Vorstellungswelt der Täter führe zunächst zwangsläufig zum Islam. Das ist nicht erst seit 9/11 eine vielbefahrene Sackgasse.

Es gibt nicht umsonst die klare Unterscheidung zwischen Islamismus/Dschihadismus und Islam/Dschihad. Wie kann der nicht unvernünftige Oliver Pink (Die Presse) also meinen, wir kämen mit dem „Das hat mit Islam nichts zu tun“-Mantra nicht weiter? Über das sich ein gewisser Deniz Yücel (Die Welt) in jugendlich anmutendem Frust genauso beklagt wie über andere Belanglosigkeiten? So wie Andere feststellen, die Gesten und Symbole der Solidarität mit den Opfern und der Nation würde Terrorismus nicht besiegen.

Da ist es wieder, dieses schnaufende Nichts.

Die mit Abstand meisten Opfer des weltweiten Dschihadismus sind selbst Muslime. Das macht ihn zum Feind der islamischen Welt. Er hat streng genommen auch nichts mit dem vielfältigen Begriff des „Dschihad“ zu tun, da er nicht den Islam verteidigt, ihn durch seine Anschläge – in Bagdad, Beirut oder Paris – nicht verbreiten und auch nichts erobern kann. Die allgemeine, naheliegende Deutung von Koran und Sunna verbietet den Kampf gegen Wehrunfähige, Frauen oder Kinder, ebenso das Töten von Geiseln oder das Verstümmeln von Leichen.
Nicht umsonst bezeichnet Islamwissenschaftler Thomas Volk die Terroristen deshalb als „religiöse Analphabeten“. Nicht umsonst verurteilen Imame weltweit deshalb die Anschläge.

Mit ihren (Selbst-)Morden haben die Terroristen auch nichts für sich erreicht. Wer anderes behauptet, ist vermutlich Dschihadist oder Rechtspopulist_in (oder anders verblendet). Selbst wenn sie unseren Lebensstil vernichten wollten, wie nach dem Standardinterview von Experte Volk auf der Titelseite prominent aber überflüssig plaziert wurde: Erschießen und Sprengen können sie diesen nicht. Die größte Gefahr und Wirkung durch den Terrorismus bleibt die Angst davor. Diese wird durch das Herauspicken solcher Zitate eventuell verstärkt und weitergetragen – im Sinne der Terroristen.

Die Angst verursacht ein Nichts in den Köpfen.

Überhaupt ist auffällig, wie oft Islamwissenschaftler als Terrorismussexperten befragt werden. Auch das suggeriert, dass die zweitgrößte Weltreligion (geschätzte 1,6 Milliarden Anhänger_innen) automatisch mit einer Pseudokultur des Terrors verbunden wäre. Wer den Islam kenne, kenne den Terrorismus? Wenn Volk als Terrorexperte spricht, klingt das jedenfalls wie ein alter EAV-Song: „Das Böse ist immer und überall.“

Der islamistische Terror wäre „immer auf der Suche nach neuen Superlativen, um Aufmerksamkeit zu erzielen (...).“ Diese Suche ist auch das Selbstverständnis der großen Medien. Während im nächsten Artikel Geheimdienste nach einem Zusammenhang fingern, um Edward Snwoden und digitale Privatsphäre für die Pariser Anschläge verantwortlich zu machen. Und Ungarns Möchtegern-Diktator Orban behauptet, Flüchtlingsquoten würden Attentäter in der EU verteilen. Von wem werden diese Massenmorde eigentlich nicht sofort ausgeschlachtet und dadurch zu Mehrzweck-Morden gemacht?

Daesh statt „IS“

Den deutschsprachige Zeitungen scheint ein Fehler egal zu sein, den ich bisher leider mitmachte. Bezeichnungen wie „IS“ oder „ISIS“ behaupten, dass es sich bei dieser Verbrecherorganisation erstens um Islam und zweitens um einen Staat handle. Dadurch helfen Medien (weltweit) sie zu legitmieren, sie zu bewerben. Das nützt nur den Dschihadisten. Und den Rechtspopulist_innen, die bekanntlich ebenso davon leben, Angst vor Muslimen zu schüren.

Wir müssen daher aufhören, Worte zu verwenden, die uns Terroristen (oder Rechtspopulist_innen) in den Mund legen. Die alternative Bezeichnung Daesh (vom arabischen Akronym DAIISH) statt „Islamischer Staat“ wird empfohlen.

Nur gemeinsam zu Sieg und Frieden

Der islamistische Terrorismus im Westen und seine mediale Behandlung „entfremden“ spätestens seit 9/11 die Muslime innerhalb der Zivilgesellschaft. Oder umgekehrt. Jedenfalls in den Köpfen. Auch weil nie etwas anderes erwünscht war. Das erleichtert das Rekrutieren neuer Irrer.

Diese suchen und verlieren im Extremismus ihre Religion, ihre Bedeutung, ihre Menschlichkeit. Sie werden zu Götzendienern des Nichts, in das sie auch andere stürzen, mit dem sie uns Anstecken wollen.
Multikultiviertheit und pluralistische Gesellschaft versalzen den Nährboden dieses (und jeden) Terrors. Die Zusammenarbeit mit Menschen im islamistischen/islamischen Umfeld ist zudem effektiver, als die Privatsphäre einzuschränken, Überwachung auszubauen und per Generalverdacht zu fahnden.

Den Krieg aber haben die mächtigsten Militärmaschinerien längst begonnen. Wozu ihn noch ausrufen? Das wichtigste ist dafür ebenso die Kooperation, vor allem jene Russlands und der USA (siehe hier).

Wir müssen den (sprachlichen) Spieß umdrehen. Der Daesh ist ein Feind aller zivilisierten Menschen, ebenso wie die globale Korruption, die ihm beim wachsen half. Nichtmuslime brauchen den Islam und der Islam braucht Nichtmuslime, um diesen unmenschlichen Extremismus zu besiegen. Wir müssen uns also auf jene Ideale stützen, die unsere unterschiedlichen Religionen und Philosophien verbinden: Vernunft, Solidarität, Menschlichkeit.
Das darf auch medial kommuniziert werden, das darf mit schönen Gesten und Symbolen bekräftigt werden. Der Terror aber darf die Zivilgesellschaft(en) nicht entzweien, darf durch Medien nicht fortgeschrieben werden. Sonst würden die Attentäter ihr Zerstörungswerk fortsetzen, damit doch noch etwas erreichen.

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