Freitag, 10. Juli 2015

Grexit und anderer Bullshit

Noch einmal: Die berufspolitische Griechenland-Debatte hat mit Ökonomie so viel zu tun wie Homöopathie mit Medizin. Fakten, Rechnungen, Zusammenhänge werden eingestampft und als politische Spielkarten wieder ausgespuckt.

Die Massenmedien berichten über alle Details des Pokers, nur nicht über das Wesentliche: Woher kommt's, warum ist's und wem nützt es (wie)?
Das öffentliche Gedächtnis wird an der kurzen Leine gehalten. Jeder Rückblick reicht meist maximal bis 2010. Man listet die Sitzungsdaten auf. Die Inhalte bleiben Hörensagen.

Die Methoden des Sezessionskrieges

Von Anfang an wurde der mögliche Exit Griechenlands aus der „Währungsgemeinschaft“ eingestreut. „Grexit“, Wortspiel, jugendliche Internetsprache: Der Wimpel des politischen Marketings. Wenn Bedürfnisse fehlen, müssen sie erschaffen werden.

Inzwischen sollte man sich fragen, wo im Euroraum das Substantiv „Gemeinschaft“ herkommt und/oder hingehörte. So wie die übrigen Eurofinanzminister_innen, ihre EZB, deren Kommission mit dem „Partner“ Griechenland umgehen, muss man eher von Wirtschaftskriegsgegnern sprechen, von einem Wirtschaftsbürgerkrieg.
Sezession: Reicher Norden gegen armen Süden. Der verwüstete Gegner muss irgendwie am Leben erhalten und an der Leine gehalten werden, sonst folgt erneute Rebellion – auch in anderen Regionen. Politik vom Feinsten, aber null ökonomischer Sachverstand.

Antike und heutige Mythen

Grexit oder „Gray“ (Greece-Stay) sind hierfür genauso egal wie übrigens der Mythos, dass uns Athen die Demokratie gebracht hätte. Die „Demokratie“ des antiken Sklavenstadtstaates schloss alle aus, bis auf eingeborene freie Männer, die in der Regel wohlhabend und alt sein mussten, um politischen Einfluss nehmen zu können; und die gerne kritische Philosophen hinrichten ließen. Alt-Griechenland ist daher nur die Wiege jener Pseudo-Demokratie auf die wir gerade zusteuern. 

Das Panik-Pech des unkontrollierten Marktes kann auch Staaten treffen, die keiner Währungsunion angehören. Die Schmähs, die von den Kreditgeiern danach angewandt werden, ebenso.
Wenn ich ohne Hose dastehe, ist es mir zunächst egal, welche Marke drauf steht und wer sie mir herrunterzog. Es ist auch unklar, ob es besser oder schlechter ist, wenn es die eigene europäische Familie war.

Europa kann nicht vor sich selbst weglaufen

Man darf auch nicht vergessen, dass Griechenland jedenfalls Teil der EU bleibt. Der Rest der angeblichen Gemeinschaft kann sich also nicht vor seiner entsprechenden Verantwortung drücken. Es wäre daher schon vorgestern an der Zeit gewesen, das Krisenmanagement jenen zu überlassen, die nicht nur an ihre persönlichen Interessensklüngel, sondern an das Interesse der europäischen Gemeinschaft denken.
Selbige sollte übrigens nicht zu vorlaut werden. Österreich beispielsweise hat eine ähnlich hohe Staatsverschuldung wie Griechenland, was genauso katastrophal enden würde, wenn Investor_innen innerhalb kürzester Zeit ihr Geld abzögen. Dann würde man nicht nur die privaten Schulden der Hypo-Alpe-Adria den österreichischen Steuerzahler_innen umbinden. Dieser Bär würde um ein vielfaches anwachsen. Und die deutschen Medien würden die Ösis ebenso als faul, chaotisch und wertlos darstellen wie sie es mit den Griech_innen machen. Wirtschaftskriegspropaganda.

Paradoxien bedeuten Ahnungslosigkeit

Die Alpen-Republik zahlt Milliarden an die Bayern, weil diese Herrenmenschen der Euro-Wirtschaft – die ihre heutige Vormachtstellung Schuldenschnitte und Wiederaufbauhilfen verdanken, die ihnen andere gewährten – irgendwann verdammt schlechte Geschäfte über die Hypo abwickelten.

Es ist also gelungen, das Vergemeinschaften von privaten Schulden zur europaweiten Normalität zu machen. Hierfür küssen die Neoliberalen sogar die öffentliche Hand, die sie ansonsten nie und niemals bräuchten. Nur die radikalen Linken wehren sich gegen diesen Machtmissbrauch bzw. dessen Folgen und werden dafür von den Demagogen des erbärmlichen Mittelmaßes angegriffen.

Im Standard konnte man unlängst lesen, dass der von intelligenten Menschen prognostizierte Zusammenhang zwischen Sparmaßnahmen und Schuldenanstieg in Griechenland paradox wäre. Dass ich immer noch Abo habe, das ist paradox!

PS: Nicht weniger manipulativ wie die übliche Sprachlichkeit ist der theatralische Einfall, Deutschland bzw. die Merkel-Regierung als alleinige Gegenspielerin darzustellen. Zum Einen weiß die rechte Gehirnhälfte der Kanzlerin offenbar nicht, was die linke spricht (Es reicht! Aber die Tür bleibt offen.). Zum Anderen sind "Mutti" und ihre Mannschaft auch nur so groß wie die Medien sie aufblasen.
Exportüberschuss und Populationsspitze alleine sollten keine Sonderrechte in den europäischen Institutionen garantieren. Dass dies aber so dargestellt wird, kann nur bedeuten: Die anderen Mächte Europas wollen es so.
Rein berufspolitisches Denken: Sollte tatsächlich alles die Styx runtergehen, wären wieder einmal die Deutschen Schuld. Vermutlich sind die österreichischen Medien in der Griechenland-Krise deshalb so hin und hergerissen.

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