Montag, 20. April 2015

Grexit & Co: Exemplarischer Kommentar über einen exemplarischen Kommentar

Betrifft „Böse Griechen, brave Troika“ von András Szigetvari (wegen dessen Namen ich froh bin, dass ich keinen Vlog mache), im Standard vom 20.4.2015.

Dieser Kommentar ist exemplarisch für den Umgang der meisten Medien und ihren Macher_innen mit dem Konflikt zwischen Griechenland und Troika. Ein exemplarischer Kommentar:

Taktischer Mythos: Grexit

Grexitgefahr: Kann stimmen: "Die Chancen dafür, dass Griechenland asu der Eurozone austreten wird, waren noch nie so hoch wie heute". Was aber nicht bedeutet, dass sie insgesamt hoch sind; oder, dass es Beweise für eine Grexit-Stimmung gibt. Denn auf der IWF-Jahrestagung wollte sich diesbezüglich anscheinend niemand „namentlich zitieren lassen“.

Schuldfrage: Er fragt weiter nach der Schuld für die Spannungen zwischen Troika und griechischer Regierung. Und: „(...) was müsste sich bewegen, damit ein Grexit noch verhindert werden kann?“
Antworten: Medienmacher_innen. Sie könnten aufhören, ständig über einen Grexit zu schreiben, für den es noch keine nachweislichen Anhaltspunkte oder rechtliche Grundlagen gibt.

Böse Griechen

Syrizas Zusammenarbeit: Wie sehr häufig wird auch hier die mangelnde Zusammenarbeit durch Pemier Tsipras und „besonders“ Finanzminister Varoufakis erwähnt.
Was aber niemand schreibt: Was ist dieser „Mangel“? Die Tatsache, dass sie die Vorschläge der „Institutionen“ nicht akzeptieren (können), weil sie den alten, abzulehnenden Auflagen quasi entsprechen?
„Die Troika – Eu-Kommission, Europäische Zentralbank und IWF – ist ja mit ihren Reformplänen für Hellas spektakulär gescheitert.“, schreibt der Journalist im selben Artikel.

Überhaupt: Die Beschränkung auf große Worte muss man zunächst der Troika vorwerfen: Deren Mitglieder geben teilweise zu, dass die alte Sparpolitik falsch ist, setzten sie aber dennoch fort. Wie weit hat sich die Troika bisher bewegt? Muss man sie loben, weil sie überhaupt mit den Syriza-Abgeordneten sprechen? Und wann werden diese Fragen thematisiert?

Bad-Boy Varoufakis: Hier wird im nun – nachdem andere „Expert_innen“  ihn gerne modisch kritisieren – vorgeworfen, dass er unserem österreichischen Januskopf Schelling wiederum eine Lüge vorwarf.
Exemplarisch für die Medien: Es wird nicht geprüft, ob der Eine oder Andere Recht hat. Aber es wird wegen diesem einen Vorfall von „Ausfällen“ Varoufakis geschrieben.
Zugleich verschweigt man unangebrachten Äußerungen zum Beispiel Schäubles oder die tatsächlichen Lügen anderer Medien, die sich bereits gegen den Wirtschaftswissenschaftler, in dessen kurzen Amtzeit, richteten. Hier wäre der Plural korrekt!

Böse Troika – Braver Journalist

An der Steuerfahndung liegt's: Nun wirft Szigetvari, durchaus fair, den „Gläubigern Griechenlands“ (zutreffende Bezeichnung) mangelnde Selbstkritik vor. Allerdings deshalb, weil die EU-Kontrolleure, ebenso wie die Griechen, bei der Gestaltung der Steuereinhebung versagt hätten – und zwar seit 2010, als die Syriza noch lange nicht die Regierung bildete (die von einigen Anderen lächerlich gemacht wurde, weil sie bessere Steuerfahndung als Teil der Problemlösung präsentierte).    

Praktisch ideologisch (oder umgekehrt): Beim Troika-Versagen ginge es allerdings nicht um die hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland, meint der Kommentator . Und „ob Athen weiter sparen soll oder nicht“, wäre eine „ideologische Debatte“.
Dem folgt sogleich: „Das Versagen hat vielmehr auf einer praktischen Ebene stattgefunden.“ Also vor allem bei der Steuereinhebung.

Schluss!

Was wäre kein Thema? Im gleichen Artikel lesen wir also, dass die Troika praktisch versagt hätte; beim Steuereintreiben mit den griechischen Behörden genauso wie bei den bisherigen „Reformplänen“, also der Austeritätspolitik. Die wurde bekanntlich nicht nur ideologisch umegesetzt. Weshalb die hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland durchaus Thema ist.

Was wäre Thema? Verhandlungstil. Würden doch beide Seiten zugeben, dass sie Fehler gemacht haben (immerhin seien Athens Ideen „vage“ und die IWF-Pläne „nicht konkret“ - weil ohne Berlin). Würde Varoufakis doch nicht immer so frech sein (wie Schäuble). Würde man den armen Journalist_innen doch nur nicht das Grexit-Gerücht aufnötigen...
Dadurch werden sie offenbar daran gehindert, darüber zu schreiben, was bei den Verhandlungen wirklich diskutiert wird; was die beiden Seiten jeweils im Detail vorschlagen.

Weiß man es nicht? Dann muss man die Informationslücken nicht mit Gerüchten stopfen.
Weiß man es? Dann könnte dies zur Klärung beitragen, warum die Griechen so viel Widerstand leisten.

Widersprüchliches: Die Frage der äußeren Form der Griechenland-Debatte hat dieser Zeitungs-Kommentar mit so vielen anderen gemeinsam. Dass man dabei allerdings nicht nur essentielle inhaltliche Fragen verabsäumt, sondern sich inhaltlich auch widerspricht, das haben Journalist_innen mit der Berufspolitik, vor allem mit den Troika-Fans gemeinsam.

Aber ich schließe mich letztlich András Szigetvari an: „In einer so komplexen Causa (...) sollten sich alle von außen mit überklugen Ratschlägen zurückhalten.“    

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