Montag, 16. März 2015

Griechenland: Zweierlei Maß der Altertümlichen

Journalisten und Kolumnistinnen genossen oft eine gute Bildung, die man verwirrend genug gerne als „humanistische“ bezeichnet. Man meint eigentlich konservativ... oder „klassisch“, was wiederum altertümlich heißen müsste.
Es verwundert daher nicht, dass manche Vertreter_innen dieser Zunft Schwierigkeiten haben, die Länder der antiken Hochkulturen heute zeitgemäß wahrzunehmen. So ist man beispielsweise höchst irritiert über das Erscheinungsbild des griechischen Finanzministers.

Die Gymnasiasten sind genauso verwirrt...

Früher war allen Gymnasiast_innen klar: Griechische Gelehrte sind alte Männer mit Bärten, in spärlicher Kleidung, die gerne Tonnen hausen und im Sand herumkritzeln. Yanis Varoufakis aber rasiert sich gerne, trägt einen Anzug und lebt (obwohl ein Linker!) in einer modern eingerichteten Wohnung – noch dazu mit einer Frau. Er benützt auch das Internet.

...wie die schwäbische Hausfrau

Das verwirrt sogar dessen altertümlich gebildeten Kollegen, allen voran den deutschen. Als studierter Jurist und schwäbische Hausfrau weiß Wolfgang Schäuble nichts mit dem hellenistischen Neuling anzufangen.
Schäuble selbst ist ungefähr seit den Perserkriegen in der Berufspolitik tätig. Daher schrecken ihn wehrhafte Griechen zutiefst. Er dürfte damals schon für die nicht-europäischen Seite gearbeitet haben.

Über-Sehend...

Aber das Wissen der altertümlichen Meinungsmacher_innen geht selbstverständlich über die Antike hinaus. Deshalb kann keine_r von ihnen die Verbindung zwischen griechisch-byzantinischer und russischer Kultur übersehen.
Ja sie über-sehen und über-interpretieren sie sogar. Deshalb dichten sie der neuen griechischen Regierung gerne enge Kontakte zur russischen Oligarchia an.

...aber blind

Während sie offensichtlich blind sein müssen, für die zahlreichen Besuche des Tyrannen Putin in anderen Kolonien bzw. EU-Staaten: Letztens beim sozialdemokratischen Häuptling der Italer, beim pannonischen Steppenfürsten oder in der Wirtschaftskammer der alpinen, keltischen Stammesgebiete. In diesem barbarischen Terra incognita fiel der Russe manchen Kommentator_innen natürlich nicht so sehr auf wie in Athen, wo er gar nicht war.

Klassisches Wissen: Tyrannei ist besser als Pöbelherrschaft

Die altertümlichen Denker_innen wissen auch: Das Königtum ist nicht die beste Herrschaftsform, beinhaltet allerdings das geringste Risiko. Sie kann höchstens in einer Tyrannis enden und das funktioniert doch auch in Russland, Ungarn und der Türkei so gut, dass man über diese Geschäftsbeziehungen... oder Staaten nicht zu sehr schimpfen muss.

Was unter dem chinesischen Einparteiklüngel, in den arabischen Ölreichen oder den ehemaligen Kolonien der "neuen Welt" geschieht, interessiert die Griechenlandexpert_innen genausowenig. Schließlich kann man sich – bei all dem Stress des Syriza-Stocherns – nicht auch noch mit exotischen Orchideenfächern befassen.

Klassische Regel: Schauen, manchmal ohne S

Man hat aus der Antike zwei Dinge gelernt:
1. Die gefährlichste Herrschaftsform ist die Demokratie... weil sie leicht in etwas umschlägt, was den jeweils Herrschenden nicht passt.
2. Philosophen sollte man zuhören, wenn sie unterhaltsam sind oder vermarktbares Wissen produzieren. Wenn sie aber politisch und moralisch werden, holt man am besten den Schierlingsbecher aus der intellektuellen Schublade (ist auch eine Hauptzutat der schwäbischer Hausfrauen-Gerüchteküche).

Anschließend hetzt man – damals wie heute – Demgagoginnen und Juristen auf sie. Schließlich verderben sie die Jugend – so wie der coole Varoufakis oder dessen gelehrten Kollegen, der junge Piketty oder der alte Marx.

Daher gilt die Grundregel, vom Altertum gelernt, immer noch: Dem Volk aufs Maul schauen, dem Philosophen aufs Maul hauen! Oder umgekehrt.
 


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