Samstag, 7. Juni 2014

Mündigkeit in Demokratie und Antidemokratie

In Kürze zur Demokratie: Dieses Regierungssystem, unabhängig von jeweiliger Verfassung, benötigt die freiwillige und bewusste Akzeptanz des Großteils seiner Mitglieder, um als solches zu funktionieren. Freiwillige und bewusste Akzeptanz bedeutet: Ohne äußere oder innere Nötigung; und um die demokratischen Funktionen, Rechte und politischen Prozesse wissend.

Die verehrten Philosophen der Antike, die bis in die Theorien der Aufklärung und Moderne wirken, haben in einer Hinsicht unrecht: Die Demokratie ist nicht die schlechteste Verfassung, das schlechteste System, das sich lediglich durch geringstes Korruptionsrisiko auszeichnet.
Die Demokratie ist das beste System, allerdings mit den höchsten Ansprüchen und der breitesten Verteilung der politischen Verantwortung. Dies betrifft nämlich alle ihre Mitglieder.

Die Demokratie ist ein „Mann- und Frauschaftssport“, nichts für Faule oder Asoziale.
Sie ist keine Diktatur der Mehrheit gegenüber den Minderheiten, denn ohne das Einverständnis ihrer einzelnen Gruppen funktioniert sie nicht; die Demokratie muss also für alle ihre wirkenden Mitglieder gerecht sein, ansonsten ist sie Pseudodemokratie.

Tatsächliche Unmündigkeit

Eine Bevölkerung, die kaum über Fakten verfügt, deren Informationen manipuliert bzw. manipulativ sind, die direkt belogen, direkt oder indirekt von Informationen ausgeschlossen wird, ist genauso unfrei, wie eine Bevölkerung, der von Seiten fremder Staaten politische Prozesse und Situationen aufgezwungen oder von eigenen Mitgliedern, ohne Mitsprachemöglichkeit der übrigen, diktiert werden. Eine solche Bevölkerung ist faktisch unmündig, behält sie auch das dann tote Recht auf Mündigkeit, das sie praktisch nicht in Anspruch nehmen kann.

Selbst-Entmündigung

In den wenigen Demokratien dieser Menschenwelt, entmündigt sich die Bevölkerung vielfach selbst. Dies wird großteils von den politischen und wirtschaftlichen Eliten ausgenützt, die diese Selbstentmündigung vorantreiben.
Sie treiben die mangelnde Kenntnis, das mangelnde Interesse ihrer Mitbürger_innen am eigenen Staat, der eigenen Politik schrittweise voran, indem sie mediale Berichterstattung entsprechen uninteressant und informationsarm gestalten, ihre interne und externe Kommunikation in eine Sprachlichkeit hüllen, deren Codes nur Eingeweihte verstehen können; die zudem auf eine Aneinanderreihung von Floskeln und Wiederholungen aufbauen, die einem unaufmerksamen Publikum undifferenzierbar und als bedeutungsloses „Geschwafel“ erscheinen muss.

Dank dieser professionell-rhethorischen Gleichschaltung der politischen Kommunikation – deren Zweck auch das Vermeiden direkter Lügen, zugunsten indirekter Unwahrheiten ist – und der steten Anpassung, Wiederholung, Fortsetzung in etlichen Medien, werden große Teile der Bevölkerung von dieser, vom öffentlich-politischen Diskurs ausgeschlossen. Diese Entmündigung baut auf der Selbst-Entmündigung auf.

Dolchstöße in den Rücken der Demokratie

Anstatt also für den Erhalt ihrer Demokratien zu sorgen, indem sie sich um Mündigkeit ihrer Mitbürger_innen kümmern, diese möglicherweise zur Bemündigung verpflichten, nützen zu viele Eliten die Schwäche ihres eigenen Systems zum persönlichen Vorteil aus. Sie nützen die Unkenntnis und das Desinteresse zu vieler Menschen, um Fehler ins System zu schmuggeln, die dessen Verfall fortsetzen.

Beispielsweise indem sie, wie in Österreich, die Qualität des Bildungssystem verringern, notwendige Reformen aussetzen oder verzögern. Da die faktische Mündigkeit ihrer Bürger_innen aber die Grundlage jeder Demokratie ist, wäre politische Bildung das wichtigste Unterrichtsziel in all ihren Schulen.

Anstatt sich um die Aufklärung ihrer Kinder zu kümmern, streiten die verantwortlichen Erwachsenen lieber über religiöse Inhalte im Unterricht. Aber nicht das Bestehen eines Religionsunterrichts ist problematisch, sondern das Fehlen von Staatskunde, Politologie, Philosophie.

Europa der Selbst-Unbewussten und Selbst-Befremdeten

Gerade der EU-Wahlkampf 2014, aber auch frühere Debatten über die EU zeigen, dass den rechtlich-mündigen Bürger_innen und Wähler_innen Europas grundlegendes Wissen über das eigene politische System fehlt. Siehe … …

Sie klagen über ein Gefühl der Fremdherrschaft durch „Brüssel“. Dessen Ursache haben sie selbst mitzuverantworten. Wer keine Ahnung von den Mechanismen seiner eigenen Politik hat, dessen Politik wird – früher oder später – von Anderen bestimmt werden.
Das Unterscheidenkönnen von Politik und Berufspolitik spielt hierbei eine Hauptrolle. Niemand kann verhindern, „politisch“ zu sein: Auch das völlige Desinteresse oder das Nichtwählen tragen zur Politik bei, weshalb die Verantwortung und Macht nicht alleine bei den Berufspolitiker_in liegen kann.

Ich weiß auch nicht, woher die ganze Dummheit kommt

Wer eine Gruppe von Abgeordneten ins EU-Parlament wählt, die dieser Institution, durch die sie Amt, Legitimation und Lohn erhalten, zugleich den Krieg erklären, begeht einen schweren Denkfehler. Dieser ist moralisch gleichzusetzen mit der Dummheit, schwer betrunken ein Auto zu fahren.

Diese Anti-EU-Abgeordneten klagen die EU an, Steuergelder zu vergeuden, die sie mit ihrem Amt selbst in Anspruch nehmen, ohne jedoch, nach Eigendefinition, dafür arbeiten zu können. Oder wie kann jemand für die EU arbeiten, der sie zugleich offen ablehnt? Niemand würde einen vorgestraften, bekennenden Pädophilen in einem Kindergarten arbeiten lassen.

Die Scheinheiligkeit dieser Berufspolitiker_innen ist so unübersehbar wie die Sonne am klaren Tageshimmel. Würden Österreicher_innen oder Deutsche heimische Schwätzer in ihr nationales Parlament wählen, wenn diese ankündigten, dieses mitsamt dem Staat abschaffen oder aus ihm austreten zu wollen?
Wer würde solche Politker_innen ernst nehmen? Welche Ausreden gebe es für solch eine Dummheit? Und woher kommt diese bei den Wahlen zum EU-Parlament mittlerweile wahrgewordene Dummheit? Zu einem guten Teil von der schlechten Informationslage eines ausreichenden Prozentsatzes der europäischen Wähler_innen.

Forderungen

Ich fordere daher, dass die Berufspolitik (in der EU) dazu verpflichtet wird, ihre Bevölkerung über jegliche sie betreffende Vorhaben und Aktivitäten wahrheitsgemäß und in allgemein verständlicher Sprache zu informieren. Dass es Berufspolitiker_innen verboten wird, die Unwissenheit ihrer Mitbürger_innen zum eigenen finanziellen oder machtpolitischen Vorteil (oder dem ihrer Partei) auszunützen.

Das vorsetzliche Nichterfüllen dessen bzw. der Verstoß dagegen sollte, mittels konkreten Gesetzen, schwer, zudem mit einem „Berufs-“ bzw. Amtsverbot bestraft werden. In diesem Kontext sollte über eine leichtere Aufhebung der Amts-Immunität nachgedacht werden.
Es versteht sich auch von selbst, dass Institutionen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zur völligen Transparenz für ihre Bürger_innen verpflichtet werden sollten. Geheimniskrämerei ist das Geschäft von kriminellen Organisationen und Diktaturen.

Mündigkeit als Pflicht

Ich fordere außerdem, dass die Mündigkeit der Bürger_innen unserer Demokratien nicht als Recht, sondern (zuerst) als Pflicht aufgefasst wird. Jemanden zur Mündigkeit zu berechtigen ist genauso sinnlos, wie jemandem das Recht auf Vernunft oder Mitgefühl ins Gesetz zu schreiben.
Das Mensch kann sich nur selbst bemündigen, frei und willig. Es wäre jedoch die Pflicht der Gesellschaft, also auch der Berufspolitik, alle erdenklichen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen, anstatt sich ihr in den Weg.

Die Strafe für Selbst-Entmündigung ist natürlich automatisiert bereits vorhanden. Sie schadet jedem, der sich ihr unterwirft, den eigenen Interessen, macht sie zu geistigen Sklaven anderer. Mir wollen keine schärferen Sanktionen einfallen.
Aber vielleicht gelingt es, dass Gewissen der Mitbürger_innen zu berühren; vielleicht mit Hilfe der Medien. Dies wäre eine bessere Verwendung von Steuergeldern, als die Selbstbeweihräucherung gewisser Amtsträger_innen in von uns allen bezahlten Anzeigen.

Die Macht in uns

Selbstverständlich weiß ich, dass meine Forderungen für sich allein keine großen Folgen haben werden. Aber die Macht der demokratischen Gesellschaft geht von jedem einzelnen ihrer Individuen aus. Wenn ein Mensch zunächst in der Lage ist, Kenntnis von gewissen Dingen zu erlangen, über sie nachzudenken, sich eine Meinung zu bilden und diese dann wieder zu geben, dann ist das politische Macht.
Es ist letztlich die einzig wahre Macht, die ein Individuum überhaupt erlangen kann. Jede andere Macht bedeutet stets Schuld und Abhängigkeit gegenüber anderen, erzeugt also zugleich eine gewisse Ohnmacht. Nur das eigenständige Denken ist freie Macht und macht frei.


Und wenn genügend andere die Forderungen und Ideen einer/s Einzelnen unterstützen, nimmt sie irgendwann Einfluss auf die gesamte Gesellschaft, den gesamten Staat.
Was im Kopf, in der Stimme, vielleicht auf dem Internet-Blog einzelner Menschen entsteht, kann unter gewissen Umständen die Welt verändern. Es gibt also keine Ausreden, kein Entkommen vor der politischen Verantwortung jedes erwachsenen Menschen.

Der Kalte Krieg unserer Tage: Anti- VS Demokratisch

Im Übrigen ist dieser Tage nicht mehr der Konflikt zwischen „Links“ und „Rechts“ bedeutsam, sondern jener zwischen Demokratisch und Antidemokratisch. Die Linken und Rechten in Europa haben sich gleichermaßen als eines von beidem erwiesen.












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