Mittwoch, 8. Mai 2013

Menschheit: Es ist und bleibt fade

Das meiste blieb doch, wie es war. Die Hunde bellen vor den Häusern, die Menschen warten auf die Sonne, manche bloßfüßig aus Vergnügen, andere, weil sie ihres Bettlerstandes wegen müssen. Verhungern muss bei uns zwar niemand mehr, woanders aber schon und das in großer Anzahl und auch ganz ohne den alten Vorwand Krieg; und gibt es bei uns auch zu viel zum Fressen und Hinterschlucken, mangelt es uns doch oft an anderern Lebensmitteln.

So gibt es heute unglaubliche Möglichkeiten in Technik und Medizin, von denen die Meisten das meiste noch gar nicht kennen; Möglichkeiten die den Einzelnen das Leben oder Leiden noch leichter machten; und diese Wunderdinge gebären noch mehr ihresgleichen. Sie schweben uns vor den Nasen, mal zu unserem ersichtlichen Erstaunen, mal völlig unsichtbar. Leider fehlt uns oft das Geld, jene Tauschsymbolig für das bereits Vorhandene, um all das Gut, die Möglichkeiten uns und den Unseren zu verwirklichen.


Früher starb man
an Krieg, Hunger, Pestilenz oder dem falschen Glauben. Dieser Tage stirbt man am rohmateriellen Überfluss, dem Mangel an Hemmung und Disziplin, den daraus entstehenden Krankheiten und dem falschen Wissen – in unseren zivilisierten Ländern jedenfalls. Wir sterben immer noch gerne unerwartet.

Früher hatte man meist keine Wahl. Dieser Tage hat man viele Wahlen, aber meist keine Auswahl. Also können sich – wie es kaum jemals anders war – viele ihre Herrscher und Herrscherinnen nicht aussuchen, sie werden ihnen präsentiert und repräsentiert. Man wählt, was man will oder wählt eben nichts; es bleibt dennoch immer eine große Koallition; und wäre es eine Alleinregierung, wäre sie entweder ohnmächtig oder zu mächtig. Wie in früheren Zeiten schenkt man den unbekannten Regenten und Regentinnen kein Vertrauen.

Früher enthoben und entfremdeten sich Herrscher und Herrscherinnen vom Volke, dieser Tage entfernt sich das Volk freiwillig von seinen Erwählten. Früher wurde man geknechtet, dieser Tage knechtet man sich selbst oder man lässt sich knechten, schließlich nennen wir uns modern eine Dienstleistungsgesellschaft.

Die Zeitungen liegen gratis auf den Straßen, doch steht nichts drinnen, außer die eigene Angst oder der Selbstbetrug. Dieser Tage hat beinahe jeder zu lesen gelernt, die wenigsten aber selbstständig zu denken. Früher gab es Demagogen und Agitatorinnen, dieser Tage gibt es Populisten und Marketingexpertinnen. Früher gab es Gerüchte, Tratsch, Aberglaube und Sonntagskirche. Dieser Tage gibt es Internetforen, Blogs, Facebook und Twitter.

Früher gab es den Pöbel
, dieser Tage gibt es die Proleten und Proletinnen. Zwischendurch gab es ein Proletariat und ein Bürgertum. Die Arbeiterbewegung der Ersteren wird nunmehr auf Grundlage der Arbeitslosigkeit der Zweiteren fortgesetzt, von denen die noch Jobs in geschlossenen Räumen und Anstalten haben.

Statt Kirche gegen Staat heißt es Staat gegen Privat; statt Katholiken gegen Protestanten heißt es Rechte gegen Linke; statt Abendland gegen Morgenland heißt es West gegen Ost oder nunmehr Nord gegen Süd; statt Christen gegen Heiden kämpfen Muslime gegen Kuffär oder auch Ungläubige gegen Ungläubige, aber vor allem Unwissende gegen Unwissende.

Immer noch beurteilen Menschen einander, danach was sie sein sollen oder zu sein scheinen, kaum aber danach, was sie tatsächlich sind, noch weniger danach, was sie tun oder lassen.

Wir verfügen über so viele Maschinen, die uns Kraft und Zeit ersparen sollen und hocken doch die meiste ersparte Zeit so kraftlos in und vor diesen. Wir erfinden umso mehr Wege Energie zu sparen, je mehr Energie wir verbrauchen. Früher lief man zu Fuß, weil man nichts anderes hatte. Dieser Tage hat man viele Möglichkeiten tötlich schnell zu reisen, dafür sind die Wege umso weiter.

Früher liebte man seine Kinder. Währenddessen gelehrte Geisteskranke ohne eigene Kinder erklärten, wie man seine Kinder misshandeln solle. Dieser Tage liebt man seine Kinder. Währendessen psychotische Studierte ohne eigene Kinder lediglich erwarten, dass man an seinen Kindern ein paar Experimente nach ihrer Anleitung durchführe; oder wenigstens sollte man sein Geld für ihre Ratgeberbücher spenden.

Früher gab es Weltkriege. Dieser Tage gibt es lokale Konflikte mit weltweiter Beteiligung; zwischendurch gab es internationale Konflikte, in denen nicht Mensch gegen Mensch, sondern System gegen System konkurrierte, die beide nicht existierten. Dieser systematische Konflikt wird von jenen Polit-Esoterikerinnen und Verschwörungsdichtern fortgesetzt, die sich von den mächtigen Erfindern des Image-Krieges spalten lassen, anstatt sich gegen ihren gemeinsamen Feind zu verbünden. Immer noch gibt es einen kalten Krieg, in den Köpfen all jener, die sonst nichts Besseres zu tun haben. Denn es scheint ihnen einfacher zu sein, das Bisschen Verschwörungstheorie und Bildmanipulation, das ihnen das Internet gewährt, in Kürze zur absolutistischen Wahrheit zu erheben; anstatt sich selbstständig die tatsächliche Wahrheit – egal wie lange dies dauern sollte – zu erarbeiten.

Früher kritisierten Philosophen die jeweiligen Staatsmodelle und Herrschaftsformen. Die Mathematiker betrieben Wissenschaft. Dieser Tage befassen sich Philosophen und Philosophinnen mit Mathematik und Wissenschaft, während die Mathematiker und Wissenschaftlerinnen die Politik bemängeln. Platon als Sokrates meinte, dass die Herrschaft des Volkes erneut in Tyrannei enden könne, dass die Phlosophie uns vor dem ewigen Kreislauf der jeweils nächsten Schreckensherrschaft bewahren könne. Dieser Tage besteht die alte Gefahr immer noch, doch die Bildung, die das Volk vor sich selbst bewahren könnte, wird weiterhin eingespart; und wird sie gefördert, so dient sie der Rekrutierung jener Schreibtischsoldaten und Schreibtischsoldatinnen, die hauptsächlich lernen, wie man die Anderen abzockt.

Immernoch entstehen die Wohlgefühle in unserem Leben im Vergleich zu den Schmerzen, an die wir uns bereits gewöhnen mussten. So bleibt alles, wie es ist; oder alles wird wieder, wie es war – das meiste jedenfalls – in seinen Urgründen. Manchmal ist oder wird es fade.


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