Samstag, 28. Januar 2012

Gedanken zum Gedenktag der Shoa: Ying und Yang der Hofburg

Am 27.1.1945 wurde das KZ Auschwitz von der Roten Armee befreit. Am 27.1.2012 findet der letzte WKR-Ball in der Wiener Hofburg statt, dessen Betreibern und Gästen vorgeworfen wird, mit dem internationalen Gedenken dieses Tages nicht sehr glücklich zu sein.

Selbiger ist seit 1996 „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ in Deutschland und erst seit 2005 „Internationaler Holocaustgedenktag“. In Österreich erscheinen als einzig nennenswerte Aktionen dazu die jährlichen Kundgebungen auf dem Heldenplatz, gegen den erwähnten WKR-Ball. Diese Proteste am nämlichen Tage bestehen jedoch bereits seit einigen Jahren.

Der WKR-Ball sorgte also, auch in Wien, für eine lebendige Mahn- und Gedenktradition, zur Befreiung des größten Vernichtungslagers der Nazis, noch bevor ans austriane Allgemeinwissen drang, dass der 27. Januar etwas mit Shoa-Gedenken zu tun haben könnte.
Es ist dabei unerheblich, ob der Korporations-Ring zufällig oder beabsichtig diesen Tag zum Tanzbeinschwingen wählte. Da es sich bei einem Ball um ein fröhliches Ereignis handelt, könnte man annehmen, diese Rechten würden die Eroberung durch die Rote Armee gemeinsam mit den Linken feiern. Aber da bei solchen Veranstaltungen auch – üblicherweise gerade in Burschenschaftlerkehlen – sehr viel Ethanol fließt, will man dort vielleicht auch nur vergessen und verdrängen. Ich weiß es nicht.

Aber wie auch immer: Durch diesen Ball passierte Etwas. Er war bald und ist noch (zum Zeitpunkt des Schreibens) wie ein juckender Pickel im politischen Antlitz meines Staates – Während die offizielle, österreichische Gedenkerei womöglich eher auf die Auflösung des heimischen Mauthausens festgelegt ist. Ein Versäumnis nenn ich das.

Man hätte sowohl Burschengschaftler-Ball wie auch dessen Gegenproteste zu einem Wiener Großevent mit (seit 2005) internationalem Charakter ausbauen sollen – mit Glühweinständen und Karussell. Eine Reininszenierung (durch Mitglieder des KR und der SJ beispielsweise) des entscheidenden Vorrückens der Rotarmisten würde dem Höhepunkt des Abends vorausgehen, wenn BürgermeisterIn und/oder BundespräsidentIn von einer erhöhten Position des Geländes aus verkünden: „Auschwitz ist frei! Alles Walzer!“.

Stattdessen versucht die staatsoffizielle Seite die Augen zu verdrehen, vor den konfliktreichen Aktivitäten dieses Tages; vor den Peinlichkeiten herumstammelnder „Burschis (eine verniedlichende Verharmlosung)“ und Stalins Kriegsapparat nachschwärmender „Links-Faschisten (was auch immer das sein soll)“.

Die einzigen, die im politischen Hickhack dieses Tages den Geist des einigen Gedenkfeierns entfachten, waren die AktivistInnen von Anonymus (Austria), die die offizielle Website des WKR-Balls hackten und ihr Pony, nebst Hammer & Sichel, zur lautstarken Hymne der Sowjetunion salutieren ließen.

Ob man sich neben der Dankbarkeit gegenüber den Sowjets, für ihren Kampf gegen das Naziregime und die Befreiung des KZs, auch an deren Kriegsverbrechen erinnern will; ob man sie nicht als Befreier, sondern als brutale Besetzter wahrnimmt; ob man nicht jeden Aspekt und jede Person der rechten Szene als düsteres Erbe Hitlers betrachtet oder man in einzelnen Holocaust-LeugnerInnen oder -RelativiererInnen des WKR eine Gefahr für Republik und Demokratie erkennt: Wichtig ist, dass man den Kopf in die Hand nimmt und über die ganze Scheiße nachdenkt.

Der WKR-Ball trug dazu genauso bei wie der Protest gegen ihn – Ball und Protest sind eine zivilgesellschaftliche Einheit, ein Ying und Yang der politisch Aufgeweckten. Mit dem Ball werden auch die politischen Aktionen gegen ihn verschwinden.

Es sei denn natürlich man würde ihn simulieren, in einem WKR-Ball-Reenactment: Bei freiem Eintritt (gesponsert von der SPÖ- und FPÖ-Wien, der Kultusgemeinde und einem Grasser-Fond) verkleiden sich BürgerInnen und Gäste dieser Stadt als Burschenschaftler und deren Tussis, sowie als Protestierende. Zugleich findet ein Protest-Gedenk-Karneval vor den Toren der Hofburg statt. Diese Idee ist übrigens patentiert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus