Samstag, 28. Mai 2011

Wirtschaftexpertise und fehlende Skepsis

Wirtschaftsminister Mitterlehner diagnostiziert folgerichtig, dass „die Politik“ kein Wirtschaftsexperte ist. Interessanterweise scheint es kein Widerspruch zu sein, wenn WirtschaftsexpertInnen (ähnlich wie „JuristInnen“ bzw. Personen, die irgendwann einmal Juristerei studiert haben), zugleich als ExpertInnen für jeden beliebigen Bereich der Politik betrachtet werden.

Als wollte er genau das demonstrieren, meldete sich kurze Zeit später Wifo-Chef Karl Aiginger zur Gesundheitspolitik. Weil 2050 die Ausgaben für Gesundheit um ca. 5 Prozent des BIPs (auf insgesamt ca. 15%) steigen könnten, soll man in Gesundheitsvorsorge investieren. Sein Vorschlag: Krankenhausbetten reduzieren und Versicherte zur Krankheitsprävention verpflichten.

Das wirft, einem Dilettanten wie mir, einige Fragen auf – hab ja weder Jus noch BWL studiert und bin deshalb auch kein Allround-Experte: Muss man GesundheitsexpertIn sein, um zu wissen, dass die PatientInnen nicht weniger werden, nur weil man ihre Aufnahmemöglichkeit im Krankenhaus reduziert? Sollte man sich, als Wirtschaftsexperte und Professor, so etwas nicht ausrechnen können, ebenso wie die Möglichkeit, dass nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das BIP, wachsen wird. Oder hat dies Herr Prof. Aiginger in seiner Kalkulation berücksichtigt und will nur besonders witzig sein – strebt er vielleicht bald selbst einen Krankenstand an? Und gilt der Zwang zu Gesundheits… ich meine Krankheitsprävention, auch für Privatversicherte?

Soll selbiges in Pflicht-Kursen abgewickelt werden, die jene Versicherten indirekt selbst bezahlen würden und wodurch wieder irgendein privater Kursveranstalter an der Sozialversicherung mitverdienen würde? Oder kommt es zu vorsorglichen Verboten? Dürfen RaucherInnen beispielsweise nicht mehr rauchen und PassivraucherInnen nicht mehr passivrauchen, wenn sie kankenversichert, sprich österreichische ArbeitnehmerInnen sind (dazu sollte er sich vielleicht einmal den PseudonichteraucherInnenschutz der Regierung genauer ansehen, von dem die Tabakindustrie stärker profitiert, als die Gastronomie)?
Vorläufige Antworten auf diese Fragen lassen sich in der Tatsache finden, dass Wirtschaftsrankings, wie dem „Global Competitivneness Report“ beispielsweise des World Economic Forums, unter anderem auf der Privatmeinung von Manager(Inne?)n beruhen. Das ist so sinnvoll und wissenschaftlich, wie BankerInnen über ihre Meinung zur Bankenabgabesteuer zu befragen. Dennoch diktieren solcherlei pseudowissenschaftliche Meinungsbildungen, verbreitet über diverse Medien, die Wirtschaftspolitik, dadurch die Finanzpolitik und somit letztlich die gesamte Politik der Staaten.

Diese handeln nach dem Diktat der Wirtschaftexpertise, weil sie ansonsten fürchten müssen, von irgendeiner Ratingagentur in ihrer Kreditwürdigkeit herab gestuft zu werden.

Selbige Ratingagenturen ermitteln möglicherweise ebenfalls mit recht fragwürdigen Methoden, beispielsweise unter folgender Voraussetzung: Die Wahrscheinlichkeit, dass der gewählte/geratene Wert einer Volkwirtschaft sinkt, steigt mit der Ablehnung ihrer Regierung, Investitionen im Interesse der Ratingagentur zu tätigen bzw. die Investitionen deren (zufälligen) Bekanntschaften zu subventionieren.

Das funktioniert natürlich nicht immer: Griechenland kaufte zwar, im selben Handschlag zur europäischen Finanzspritze, ein paar deutsche U-Boote, die es nicht braucht und deren Wartung es sich eigentlich nicht leisten können dürfte (siehe: Grund für die finanzielle Unterstützung), bleibt aber dennoch von allen Seiten – so zusagen – vernascht und zwar auf „Griechisch“.

Die SpanierInnen haben diesbezüglich zwar mehr Erfahrung mit gewissen „Fliegen“, wie ich hörte, aber ihre Krise verläuft wohl ähnlich. Woraufhin sich die Journal-PopulistInnen der heimischen Gratis-Reklameheftchen, wohl bald nicht mehr über das Elend der Griechen lustig machen, sondern auch die Spanier und Portugiesen, teils rassistisch, beschimpfen werden.

Dass dieselben „Zeitungen“ nicht die Frage aufgreifen, warum alles im Interesse der Privatwirtschaft neu geordnet wird und warum diese „ExpertInnen“ für unfehlbarer gehalten werden, als der Papst, ihnen alles unhinterfragt abgenommen bzw. abgekauft wird, ist vermutlich kein Zufall. Der gut abgerichtete Mensch beißt die Hand nicht, die ihn füttert, solange sie zu Füttern hat und egal woher das Futter kommt.

Es gibt zwar Personen, darunter echte ExpertInnen, die das alles und mehr noch hinterfragen, aber leider von den meisten Medien ignoriert werden. Während manche WirtschaftsexpertInnen sogar dann in allen Medien erscheinen, wenn sie, im Zuge ihrer Wirtschaftsweisheit, auch sozialphilosophische Säue vor die Perlen werfen.

Da diese FreundInnen der staatsverzerrenden Finanzwirtschaft ständig zu allem etwas sagen dürfen, während ihre Opposition, in recht undemokratischer Weise, beinahe schon in die ehrenamtliche Untergrundliteratur verdrängt wird, kann man auch beinahe schon von tendenzieller Meinungs-Zensur sprechen, na, jedenfalls von unausgeglichener Berichterstattung. Das ist etwas, das zufällig vor allem Tyranneien sehr lieben, genauso wie das Enteignen…Ups! Ich wollte sagen, wie das „Privatisieren“ des Besitzes der StaatsbürgerInnen, zum materiellen Vorteil einzelner Privatpersonen.

Und wo wir gerade bei Übertreibungen sind: Die Hoheit gewisser Eliten und ihrer materiellen Interessen, über die (sozial)politischen Ideologien und Moralvorstellungen, hat noch nie sonderlich gut funktioniert, geschichtlich betrachtet, und zwar für alle Beteiligten. So wie das geschäftig reiche Bürgertum, die Deutungs- und Moralvorstellungen von Kirche und Krone einst in Frage stellte, müssen die Menschen unserer Zeit beginnen, selbiges gegenüber dem bürgerlichen Geldadel zu praktizieren.

Was wir, mit unseren „westlichen“ Demokratien im EU-Land, tatsächlich vom arabischen Frühling lernen können, ist, die offizielle Expertise skeptischer zu betrachten. Uns mangelt es an Skepsis durch schlechte Erfahrung, die es in den arabischen Ländern im Überfluss gibt. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.

(Quellen üblicherweise "Der Standard")

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus