Freitag, 11. Februar 2011

Raucher als Opfer

Nur selten schau ich mir die Oberfläche der Wiener Bezirkszeitung genauer an, doch diesmal warf euer Schauer sogar ernste Blicke dahinter, nämlich auf den „Qualm-Alarm“ (Ausgabe Nr.6). Da hatte der Herr Neuberger vom Institut für Umwelthygiene (Med. Uni Wien) die Feinstaubbelastung in Wiener Lokalen gemessen. Das Ergebnis war zwar nicht neu, aber es erinnerte mich an einen gewissen Wahnsinn, der in diesem Land als Kulturgut gefeiert wird: Das öffentliche Verbrennen und Inhalieren von Giftstoffen (kurz: Rauchen).

Als ich zu schreiben begann, hörte ich bereits die übliche Jammerei: Dass man sich auch nicht dem Straßenverkehr oder dem Garten-Griller aussetzten dürfe. Ja, wäre ist mit romantischen Lagerfeuern im Sommer, die qualmten schließlich noch viel mehr, als so a Tschik. Sicher, es ist keine gute Idee, sich über ein Lagerfeuer zu beugen oder das Vergaserrohr zu knutschen und dann tief einzuatmen. Aber die Zusatzstoffe , die in einer handelsüblichen, immer noch teuren, Billigzigarette (sprich: Tabak in gestreckter Form) stecken, machen den blauen Dunst zu einem besonderen Erlebnis und dessen Konzentration ist gerade in öffentlichen Lokalen enorm, selbst wenn diese, laut Kompromiss-Regierung, Schutz davor bieten müssten.

Liegt die Feinstaubbelastung „an einer stark befahrenen Straße“ (das „bz“ meint damit offenbar Wiener Gürtel und Ring) bei ca. 120 µm²/cm³, so hat es in typischen Rauchhöhlen, wie dem „Chelsea“ in Wien, 1.383 µm²/cm³ im Nichtraucherbereich!!! - im Raucherbereich: 3.346 µm²/cm³. Aber selbst im „Fledermaus“, wo die Trennung der Bereiche besser funktioniert (3.056 bei den Rauchern, gegenüber 472 µm²/cm³ bei den Nichtrauchern), zeigt sich, dass jene Warnung, die mir einst im Ö1-Journal zu Ohren kam, berechtigt ist: Selbst wenn der Raucherbereich – üblicherweise durch seine gemütlichere Ausstattung und bessere Lage sofort erkennbar – durch eine Trennwand mit Tür (das übliche Modell) separiert ist, bleibt die Feinstaubbelastung im Nichtraucherbereich höher, als im (starken) Straßenverkehr. Dabei sprechen wir nicht von irgendeinem Lercherlschas: „Zigarettenrauch enthält insgesamt bis zu 12.000 verschiedene chemische Verbindungen in allen drei Aggregatzuständen, von denen über 2.000 als Giftstoffe bekannt sind.“, schreibt WikiPedia und die Schadstoffe wandern Hand in Hand mit dem Feinstaub in die Lunge (und manchmal auch ins Gehirn).

Bevor ich fortfahre, muss ich feststellen, dass der Großteil meines Freundeskreises zumindest gelegentlich raucht (ich selbst hörte 2006 damit auf), aber selbst die Kettenraucher unter ihnen, verstehen den Sinn des Raucherschutzes und manch einer von ihnen hätte nichts gegen ein absolutes Rauchverbot in Lokalen. Für selbiges spricht so vieles, dass ich es hier nicht mehr genauer ausführen will. Man reise ins benachbarte Deutschland und mache dort eine Kneipentour.

Die Statistik im „bz“ zeigt, dass 24,6 Prozent aller Wiener mindestens eine Tschik pro Tag verheizen. Da frage ich mich: Was? So wenig? Macht man besagte Kneipentour in Wien, so gewinnt man eher den Eindruck, dass der so genannte Nichtraucherschutz nur dort nicht fürs Klo ist, wo Wirte – selten aber doch – von selbst ein Nichtraucherbeisl einrichten wollten oder mussten, weil sie ein Kindercafe sind oder zugleich Möbel & Bücher verkaufen („Phil“, das dennoch immer voll ist). Ansonsten bedeutet „Nichtraucherbeisl“ in Österreich nur, dass der Nichtraucherbereich größer ist, als der Raucherbereich. In der Regel qualmt es aber beinahe überall. Nicht nur in sämtlichen Lokalen, die großteils zufälligerweise gerade klein genug sind, um sich als Raucherclub deklarieren zu dürfen (das haben die GesetzgeberInnen schlau gemacht); auch auf der Straße. Auf jedes Wiener Hundstrümmerl kommen mindestens zwei RaucherInnen - und das ist bekanntlich nicht wenig.

Sie sind zwar in der Minderheit, dennoch dominieren RaucherInnen den öffentlichen Raum. Man riecht sie, bevor man sie noch sieht und das, dank der Feigheit der Politik, die es sich nicht mit nikotinabhängigen WählerInnen verscherzen will, selbst wenn sie dabei den Gesundheitsschutz der nicht rauchenden Mehrheit verqualmt. So muss ich als Nichtraucher, der auch sein Kind den steten Rauchschwaden auf der Straße nicht aussetzen will, immerwährend Ausweichmanöver absolvieren. Nichts anderes in Gastgärten, sogar unter den Sonnenschirmen des ansonsten rauchfreien Kindertheaters und Beisls „Wiener Dschungel“, setzten sich Unbekümmerte, zwischen eine Schar von (Klein)Kindern und deren Eltern, und beginnen ihr Selbstmordattentat auf Raten (In Deutschland sterben jährlich über 100.000 Menschen an den Folgen des Rauchens).
Oft bekomme ich den Zigaretten-Qualm von, darüber hinaus noch stark parfümierten, Frauen in die Nase, die aber ihrerseits höchstens drei kleine Züge von ihrem Gift verströmenden Mode-Accessoire machen und es die übrige Zeit lediglich, zwischen zwei Fingern, möglichst empor in die Luft gestreckt halten, bis es von selbst verglommen ist.

Es mangelt aber nicht nur am Bewusstsein der RaucherInnen, für die Gesundheitsproblematik ihrer Sucht, in diesem Österreich, sondern auch an jenem der NichtraucherInnen. Immerhin wird der öffentliche Raum nach wie vor von einer Minderheit besetzt, die Süchtigen genießen ihre vermeintliche „Freiheit“ der Abhängigkeit, die Mehrheit der Bevölkerung muss sich in Sonderschutzzonen verstecken. Gerechterweise müsste es umgekehrt sein, wie z.B. in Japan, wo, kulturell bedingt, Respekt vor Anderen mit Selbstachtung einhergeht. Die NichtraucherInnen wehren sich aber kaum, vermutlich, weil die Sache immer schon so war, wie sie ist und damit gibt man sich bekanntlich gerne zufrieden – in unserem zivilisierten Staat. Beispielsweise fand ich zwar eine Facebookseite „Gegen Nichtraucherlokale!!!“, aber keine einzige, auf der man für den Nichtraucherschutz wirbt (weshalb ich alsbald selbst eine einrichten werde).
Dennoch betrachten sich die RaucherInnen als Opfer des „Krieges gegen die Raucher“, wie sogar ein Buchtitel lautet und kurz bevor dieser neue Pseudo-Raucherschutz in Österreich in Kraft trat, fanden sich 2 – 3 sichtliche HerzinfarktkandidatInnen rauchend auf der Mariahilferstraße ein, um für das Rauchen als Menschenrecht zu demonstrieren.

Die Raucher haben hierbei allerdings Recht, sie sind Opfer, denn als Platoniker glaube ich, im weiteren Sinne, dass Schaden zufügen schädlicher ist, als Schaden zugefügt zu bekommen. Im engeren Sinne geht mir die Raucherei trotzdem nicht nur auf die Nerven. Außerdem sind RaucherInnen natürlich Opfer ihrer Sucht und sie sind – aufgrund mangelnder Schutzmaßnahmen – dazu unbewusst oder bewusst genötigt, Anderen, Unbeteiligten Schaden zu zufügen. Wie sollen RaucherInnen (so wie NichtraucherInnen) wissen, dass die gesetzlich abgesegneten Nichtraucherbereiche in Lokalen, gar keinen echten Schutz vor dem unfreiwilligen Passivrauchen bieten? Gut, man könnte sich informieren, aber man wird den GesetzgeberInnen doch auch vertrauen dürfen (dürfen schon, aber klug ist es nicht immer).
Auch wissen viele RaucherInnen nichts von den Machenschaften der Tabakindustrie, ihren ökologischen und sozialen Folgen, beispielsweise in Afrika. Es auch gibt keinen Fairtrade-Tabak, vielleicht, weil Fairtrade verständlicherweise nichts mit diesem Geschäft zu tun haben will, gründet sich die Idee dahinter doch auf Humanismus und Vernunft. Aber selbst wenn die RaucherInnen bescheid wüssten, musste ich, selbst bei durchaus intelligenten Individuen, feststellen, dass diese oft ihre Sucht für sich argumentieren lassen.

Wo bleibt also der Opferschutz? Gegen Alkohol am Steuer gibt es ein Gesetz, gegen das Anpusten von Kleinkindern mit Zigarettenqualm nicht, was vielleicht daran liegt, das stark Alkoholisierte öffentlich auch stärker auffallen, als RaucherInnen, die immer noch zum alltäglichen Stadtbild gehören. Stark Alkoholisierte, in diesem Zustand, hören zudem meist für eine Weile auf, ihr für Dritte lukratives Gift zu konsumieren, während der Raucher (außer im Schlaf) immer weiterrauchen kann und damit irgendwem auch weiterhin Geld einbringt – Zug um Zug (deshalb rauchen sich Billigtschiks, einmal angezündet, auch selbst).
Sinngemäß müsste der österreichische Nichtraucherschutz auch als Tabakindustrie-Schutzgesetz umbenannt werden. Es RaucherInnen-Schutzgesetz zu nennen, währe zynisch, denn wenn die Gesellschaft es nicht schafft, Tabakrauch-Süchtige (denn mit Nikotinkaugummi ist es selten gegessen), vor sich selbst und vor ihrem Schadenspotenzial gegenüber Unbeteiligten, zu schützen, sind sie auch tatsächlich – und nicht nur sarkastisch – als Opfer zu bezeichnen; und es ist bekannt, dass ein Opfer, sofern ihm nicht geholfen wird, selbst zum Täter werden kann.

4 Kommentare:

  1. Danke für den Beitrag!
    Und zur Info: http://www.facebook.com/group.php?gid=207474724730

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  2. Als ehemalige Raucherin (vor 40 Jahren abgewöhnt-von heut auf morgen) kann ich nur alle Tatsachen bestätigen. Dazu kommt noch die Verpestung der Luft vor jeder Bushaltestelle, da muss man 10 m weggehen um nicht dem Qualm der "Süchtigen" ausgesetzt zu sein.
    Es ist nur sinnlos einem Raucher ins Gewissen zu reden (habe selber zwei Rauchersöhne), der oder die müssen es selber wollen - das Aufhören. PS mir geht nichts ab !!!!

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  3. Ich kenne einen Kettenraucher, der sich der Schädlichkeit seines Rauchens durchaus bewusst ist. Er will aufhören, hat nichts gegen ein totales Rauchverbot in Lokalen, raucht aber weiterhin dort wie da. Vielleicht hätten einige Raucher selbst nichts gegen eine unfreiwillige Beschränkung, an manchen Orten. Ein ambivalentes Gefühl sicher - Man will an dem gehindert werden, was man will; man will nicht wollen. Ich war offenbar selbst nie so stark abhängig, um das nachvollziehen zu können. Ich kenne das manchmal aber bei Bier und Schokolade (vor allem in Kombination). Und mir geht es ebenfalls nicht ab - das Rauchen.

    Ach ja, und danke fürs Lesen.

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  4. Mein qm²/µm² Fehler (das kommt von der Raserei) war zum Glück nicht allen aufgefallen und nun ist er behoben und niemand wird je davon erfahren.

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