Freitag, 2. Oktober 2009

Platons Albtraum geht weiter

Das große Laster der Menschheit ist nicht der „Kapitalismus“ als Wirtschaftssystem, sondern seine Gleichsetzung mit einem Moralsystem, das er nicht sein kann. Wie in anderen Belangen auch, sind hierbei allein die Kinder unschuldig; die Erwachsenen aber, ob selbsternannte Kapitalisten oder deren vermeintliche Gegner, sind gemeinsame Förderer des Wahngedankens, das Geld „alles“ sei. Denn auch wenn man zwar die Meinung vertreten möchte, dass Geld allein nicht glücklich mache, so folgt darauf meist das Zugeständnis: „Geld ist Macht“ (und Macht sei Geld), die Welt drehe sich ums Geld und wenn man die Wahl hätte, wäre man lieber reich als arm – und zwar an Geld.

Dass Geld aber ein Transfermittel ist, ein Werkzeug des Kapitalismus, wird scheinbar vergessen und damit beginnen falsche Wertvorstellungen, die zwar debattiert, aber nicht gelöst werden, weil bei aller Kritik an den Topmanagern großer Spekulationsunternehmen, deren Geld – um das sich alles zu drehen scheint –, als falsch verstandenes Mittel, immer noch nicht hinterfragt wird. Gerade die Medien, mit ihrem regelmäßigen „Wort zum Sonntag“ (in mannigfaltiger Ausgabe), ihren zahlreichen moralischen Floskeln, tragen zwei unterschiedliche Masken: Einerseits spricht man sinngemäß davon, dass die alten moralischen Werte wichtiger seien, als Geld und Macht, andererseits bemessen die Akteure der Medien, den Erfolg der Akteure der Finanzwirtschaft, nach deren Einkommen. Ein Mensch sei dann erfolgreich, wenn er viel Geld verdient.

Unhinterfragt bleibt, wie das vermeintlich erfolgreiche Menschenwesen zu seinem Geld kam und wie es das Geld verwendet. Man vergisst offenbar zu bedenken: Ein Handwerker wird nicht zum Meister, nur weil er viele Werkzeuge besitzt; er muss auch wissen sie richtig einzusetzen. Und niemand wird behaupten, dass ein Klempner, der durch Missgeschick ein komplettes Wohnhaus überflutet, erfolgreich sei, nur weil er vorweisen kann, dass er reich an Werkzeugen ist. Bei Menschen, deren primäre Tätigkeit lediglich darin besteht, Geld, also das Werkzeug unseres Kapitalismus, anzuhäufen, wird unsinnig gedacht: Man hinterfragt ihr Handeln erst dann, wenn man selbst darunter zu leiden beginnt. Doch selbst wenn man ihre Fehler erkennt und verurteilt, so gewährt man diesen Handwerker des Finanzsystems dennoch ihren Status als Erfolgsmenschen und bestätigt dadurch ein bestehendes Pseudo-Wertesystem. Man bewundert - meist heimlich - ihre Besitztümer, neidet ihre Luxusgüter, versucht ihren Lebensstil zu kopieren bzw. den Anschein des Vermögendseins aufzubauen. Man hat Respekt vor ihnen und dem was sie sagen, obwohl man ihre Geldverdienste oft als ungerecht und maßlos bezeichnen muss. Ein Manager mit großzügiger Abfindung und Prämie wird gar verdammt und gehasst; Millionen-Lottogewinner hingegen beglückwünscht und bewundert, obwohl beide Millionäre gleichsam große Mengen jenes Werkzeugs geschenkt bekommen. Sie mussten es weder durch erbrachte Gegenleistung erarbeiten, noch bekamen sie es für einen bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt. Trotzdem wähnt man den einen moralisch im Unrecht, den anderen im Recht, und man neidet beiden ihr Vermögen, weil man meint, beide wären dadurch glücklich.
Auch die Kapitalismuskritiker geben jenen Menschen Macht, die für Geld nicht nur sprichwörtlich über Leichen gehen, weil sie die Frage nach Moral nicht ohne Geld in Kopf stellen können; weil sie die Fragen nach dem was richtiges oder falsches Handeln sei, von der Frage nach dem Geldvermögen der Menschen abhängig machen. Moral aber basiert nicht nur auf Mitgefühl, Mitleid und Nächstenliebe, sondern wird durch Philosophie lebendig; sie kann niemals durch Floskeln und Schuldzuweisungen erarbeitet werden, sondern allein durch Erkenntnis, beruhend auf Logik und Vernunft.

Wer die Frage nach der Gerechtigkeit beim Verteilen von Geld, dem Besitzen von Geld an sich, stellt, sowie Urteile über jene spricht, die maßlos Geld verdienen, muss über das Geldsystem hinausblicken können und es wagen die Frage zu stellen, wozu Geld überhaupt gut sei und warum das Menschenwesen es sich erarbeitet. Die Antworten auf die moralische Krise unserer Zeit finden wir nicht, wenn wir lediglich die Begriffe der Problemanalyse unserer Schwierigkeit mit dem Kapitalismus gebrauchen. Das Geld selbst ist keine Fehlerquelle, deshalb finden wir die Lösungen auch nicht in seiner Materie. Nur allumfassendes Denken bringt uns weiter und sicherlich auch dahin, aufzuhören, den Besitz von Geld als Erfolg zu bezeichnen und seine Besitzer als (unbeliebten oder beliebten) Adel unserer Zeit anzusehen. Manche Extremisten bezeichnen Europa als „Christliches Abendland“, dessen moralische Wurzeln und Wertesystem in den Errungenschaften der antiken Philosophie und den christlichen Lehren lägen. Jedoch entsprach wohl kein/e Herrscher/in oder religiöser Führer mit politischer Macht jemals dem Glauben oder der Philosophie, die er oder sie für sich in Anspruch nahm. Diese Unzulänglichkeit hatte sich vererbt und auch selbst die Yuppie-Generation der 80er hat ihren Einfluss auf die heutige Jugend. Als Tugendhaft gilt, in der Lage zu sein, sich mit dem Schein der Tugendhaftigkeit umgeben zu können, diese Macht zu besitzen; so als würde eine Krawatte einen Menschen in ein edleres Geschöpf verwandeln können. Die Elterngeneration aus dem Zeitalter der Weltkriege, hatte ihren Nachkommen Angst und geistige Zermürbung weitergegeben; die Elterngeneration des wirtschaftlichen Aufschwungs eine verzerrte, absurde Moralvorstellung. Das Wort „Moral“ selbst wurde ad absurdum gefloskelt. Es wundert mich daher nicht, dass Demagogen und Aufhetzer, wie jene der FPÖ, mit ihrem stupiden und a- bzw. pseudomoralischen Wahlkämpfen Stimmen junger WählerInnen erschmeicheln können. Es gilt akzeptabel sich der Angst hinzugeben, diese zugleich durch Selbstüberhöhung zu betäuben und dabei den negativen Egoismus glauben legitimieren zu können. Nur die Hüllen werden behandelt; wenn „die da oben“ mehr verdienen als wir, wenn Ausländer uns Arbeitsplätze und damit Geld wegnehmen. Nur darum geht es; aber Moral und entsprechende Werte finden sich nicht bei der Debatte, wie Güter und Geld verschoben werden sollen. Zuerst gehören wichtigere Fragen geklärt. Was ist es, dass wir verschieben und welchem Zweck dient es oder sollte es dienen: Dem Besitz(en) – von der Prestigevilla bis zum Goldkettchen – oder dem Bessern – vom Krankenhausbau bis zur Stromleitung?

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