Donnerstag, 16. Oktober 2008

Spiel 1.01

Spiel 1.01

Und du strebst, nach hause gehend, diesmal in eine andere Richtung, in eine andere Gasse. Noch zögerst du, während der Nebel, vom künstlichen Licht milde beleuchtet, dich des Weges locken will. Dort liegen Schatten, dort liegt Zwielicht und Unbekanntes, an dem du so oft vorübergegangen bist.

Interessantes, Faszinierendes finden, in einer Gasse, die wie alle Gassen aussieht - Der Wissende, der es herausgefunden haben wird, willst du sein.
Computerspiele kannst du spielen, Rollenspiele in virtuellen Räumen, durch jede dunkle Höhle, durch jedes düstere Verließ hindurch. Ohne Zaudern, ohne Erwartungen, nur zu. Doch zögerst du noch lange, vor einer unbekannten Gasse, vor einem Umweg nach Hause, ohne Erwartungen, nur zu?

Du zögerst nicht und schon gehst du, schon wandelst du mit leichten Schritten, wie du es lerntest, durch Schatten und durch Nebel. Die Straßenbeleuchtung zaubert dir wundersame Schemen an graue Hausfassaden. Diese gewöhnliche Gasse zählt wenige Passanten nur, ein jeder erscheint dir als Sonderling, geheimnisvoll, einzigartig und du erwartest eilige Lippen, die dir ein Geheimnis zuflüstern wollen, einen Auftrag, zu finden ein Abenteuer.

Du spieltest in virtuellen Fantasiewelten, lange, lange, wie du spieltest den Helden, da konntest du in wilden Schlachten die Schergen des Bösen besiegen. Doch gefürchtet hasttest du die dummen Gesichter in der Straßenbahn.
Jedes Holzfass, jede Truhe wurde durchstöbert, ohne Scham aufgebrochen die Kisten, in der virtuellen Lagerstatt. Wagst du es nun, das Brot aus der Mülltonne zu nehmen, Nahrungsmittel aus dem Abfall zu klauben, in der Telefonzelle nach Münzen zu suchen?
Als Dieb warst du unterwegs, auf nächtlichen Straßen, als Einbrecher auf den Dächern der Stadt. Wirst du nun nach den Streichhölzern fragen, die vor dem Tresennachbarn liegen? Wirst du dich in die Toilette stehlen, in dem Restaurant, in dem du niemals Gast bist?
Wie leicht fiel dir das simulierte Mimenspiel, das Sprechen durch den Würfelwert, mit dem Roboter deiner Begierden, betörend, es zumindest wagend. Was hattest du zu vergeben, an eine Welt ohne Risiko? - was zu gewinnen? In der Realität warteten deine Begierden auf ein Wunder.

Doch nun gehst du die Gasse entlang, ohne Erwartungen, nur zu, nur so, im Nebel, im Schatten und du entdeckst das Entdecken neu. Sieh wie die hohen Laternen stehen, über diesem abgesperrten Parkplatz, hinter Maschen- und Stacheldraht im Dunst der Herbstnacht. Sieh wie sie eine Bühne bereiten, einen Schauplatz für ein Drama, für ein Abenteuer – doch alles bleibt still.

Sieh wie im blauen Nebelschein die Telefonzelle gelb und warm im dunklen Winkel scheint. Nichts findet sich im Münzschacht. Es macht nichts. Du bewegst dich weich und schnell, wie du es lerntest, weiter durch die nächtlichen Straßen. Du blickst zum Mond; über einer Allee voller Herbstlaub leuchtet er rundlich durchs Gewölk.
Wer kann dies simulieren? Wer kann dies in virtuelle Welten sperren? Vollkommen ist die echte Welt; ein vollkommener Scheißhaufen, auf dem Blumen gedeihen.
Wie lange verbrachtest du deine Jahre vor einem Scheißhaufen auf dem Plastikblumen wucherten, virtuelles Zeug, das Belohnungsrezeptoren im leicht verführbaren Gehirn kurz befristet stimulierten. So viele Abenteuer, die so wenig befriedigten, die dir nichts hinterließen, als eine Leere in der Zeit. Was war geschehen? Konntest du dich erinnern, in welchem Spielchen du welche Heldentat begangen hattest? Wozu solltest du? Nichts davon war wahrhaftig.

Wahrhaftig ist dies Zwielichtspiel in der nächtlichen Nebelgasse, die, ganz ohne Kriegerei gegen Monster und Dämonen, dir Befriedigung verschafft – im Gehen, Laufen, im Da-Sein. Und das Abenteuer erwartet dich bereits, hinter jeder Biegung der Straße, in jedem Menschengesicht das dir begegnet, in der Gestalt eines Katzentieres, in einem Maderlaufes, einem Vogelgezwitscher im rot erleuchteten Geäst, kommt mit jedem Hundeschnüffeln, mit jedem Windstoß der das Laub durchwühlt.

Jenes Spielen braucht keine Risikofreiheit, der Tot kommt ohnedies; selbst wenn du deine Jahre im unwahren Spiel eines eingedosten Instant-Abenteuers davon treibst, so bleibt doch dies Letzte. Weit weniger Gewaltsames und Gefahrvolles jedoch, erwartet dich das Wunderland der Realität, dort, wo die Wege und Ziele mannigfaltig sind und sich an kein Designkonzept halten das für die Unwandelbarkeit geschaffen wurde.
Alles steht dir vor der Türe deiner Augen, deiner Ohren, vor der Pforte deines Mundes, am Ufer deiner Hände, dort kannst du mehr finden, als das Plastik einer Tastatur, das Strahlen einer Bildschirmwelt.

Wie wirkt das Scheinspiel über Jahre Nichts; und wie erscheint dies unscheinbare Altbekannte in einem Augenblick wie alles, das Bedeutung kennt. Hinter jeder Baumkrümmung ein Geheimnis, hinter jedem Vogelflug ein heimlicher Wink, zu Irgendetwas gut.

1.02

Mit weichen, schnellen Laufschritten spurte ich über den Asphalt, durch die Nebelnacht, über gedämpft beleuchtete Straßenkreuzungen, so wie es mich dies Spiel, dies Leben gelehrt hatte – Und ich lerne es erneut: Als liefe ich zum ersten Male auf gespürten Beinen, auf diesen leicht aufkommenden Füßen, so scheint es mir und neu die Welt, als hätte ich sie nie geschaut gehabt, nicht auf diese wundersame Weise; oder, als wäre es undenkbar lange Zeiten her, dass ich dies Lebensspiel so geatmet hatte, wie ich sie nun atme. Atme.

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