Montag, 27. Oktober 2008

Das Brodersche

Was haben Henryk M. Broder und Jörg Haider gemeinsam? Falsch: Broder ist nicht tot, er lebt und zwar auch in österreichischen Zeitungen. Richtig: Broder provoziert und polemisiert und steht deshalb vor vielen anderen, die mehr zu sagen hätten, in der Öffentlichkeit. Aber ist ihm das vorzuwerfen? Sicherlich! Aber gründlichere Vorwürfe haben Sie mir zu machen, weil ich diesen Mann, ebenso wie andere Medien, gerade aufgrund seiner Umstrittenheit aufgreife und vielleicht sogar noch zitieren werde. Gründlichere Vorwürfe als Broder selbst muss man dem System machen, das er sich zu Nutzen macht – warum auch nicht? Das System hat es verdient.
Vielleicht sitzt er jeden Tag vor seinem Schreibtisch und wartet darauf, dass ihm irgendjemand endlich vernünftige Kritik entgegenstellt. Vielleicht ist aber auch alles nur ein großes Geschäft und nicht mehr.

„…Wehrhafte Intoleranz!“ – so jetzt ist es passiert – ist ein „Broder-Zitat“ über seine eigene Haltung und zugleich ein sprachliches Symptom für eine Erkrankung dieses Medien-Systems. Es gibt einen Unterschied zwischen der Toleranz als technischen Begriff und der Toleranz zwischen Menschen. Die zwischenmenschliche Toleranz bedeutet nicht, dass Sie sich von Fremden in die Fresse dreschen lassen müssen, ohne sich zu wehren. Ich weiß, „Toleranz“ wirkt als Begriff allmählich langweilig und abgenützt, ebenso „Demokratie“, „Rechtsstaat“ oder „Menschenrechte“ (vom „Umweltschutz“ will ich gar nicht sprechen) - Mit diesen Worten lassen sich die Konsumenten nicht mehr all zu weit hochreißen, wie auch immer sie verwendet werden. Aber liegt das nicht auch am inflationären Gebrauch dieser und solcher Begriffe?

Die Broders, die Populisten, Demagogen und Schmeichler dieser Welt sind nicht mein (persönliches) eigentliches Problem, auch nicht die ungebildete Bevölkerungsmenge, die Parteien wie FPÖ und BZÖ wählt. Mein Problem ist die akademische Elite, die es sich gefallen lässt, wenn Publizisten und Marketingler sich als Wissenschaftler aufspielen und mit ihrem auf Publikumsquoten setzenden „Dokutainment“- und „Polittainment“-Mist, den Bürgern, anstelle von Experten, die Welt erklären. Die Elite gafft zu und verwechselt menschliche Toleranz mit jener von Bildbearbeitungsprogrammen: 100% Toleranz bedeutet nicht die Klappe zu halten, wenn Berufs-Populisten – ob in den Medien oder in der Politik – wissenschaftliche Erkenntnisse missbrauchen und bedeutsame Worte ad absurdum führen.

Natürlich redet Broder nicht nur Mist. Da er sich aber nun einmal in die Rolle des Hobby-Politologen, Soziologen und Religionswissenschaftlers drängen lässt, in die des Weltweisen, der über alle erdenklichen gesellschaftspolitischen Probleme befragt wird, in der Hoffnung, er würde wieder einmal etwas Provokantes und somit Vermarktbares von sich geben (spricht jemand mit ihm über Populismus?); da er damit immer wieder in die Öffentlichkeit drängt, die weniger an Meinung als an Show interessiert ist, so will ich dieses öffentliche Handwerken „das Brodersche“ nennen. Ich setze ihm damit ein sprachliches Denkmal und hoffe, dass es nicht ebenso verunstaltet wird, wie die weiter oben genannten Begriffe, die für unsere Gesellschaft wirklich wichtig sind.