Donnerstag, 31. Januar 2008

Erzieherische Klugpupserei (in der U)

Was passiert, wenn man in der U-Bahn – und ich glaube, dass sich die Bahn in Wien diesbezüglich kaum von Metros in anderen europäischen Städten unterscheidet – mehrmals auf den Knopf am Eingang drückt, der die Wagontüre an den jeweiligen Haltestellen öffnet?
Falsch: Die Notbremse wird dadurch nicht betätigt (insoweit ähneln die öffentlichen Verkehrsmittel noch nicht dem Windows-Betriebssystem). Richtig: An der jeweils nächsten Haltestelle öffnet sich die Türe deren Button ein bis unendliche male gepusht wurde.

Bevor ich den Handlungsstrang weiter knüpfe möchte ich über eine Sonderbarkeit des (meist intuitiven) privaten Erziehungswesens eingehen. Ich nenne sie präventive Autoritätsinduktion und es handelt sich dabei um eine Erziehungsmethode, mittels der man einem Kind, noch bevor es in einem konkreten Fall notwendig wird, die Macht der Autorität erwachsener Menschen spontan demonstriert; und zwar am besten wenn sich Schein-Gelegenheiten, beispielsweise eine unabsichtliches, tolerierbares Vergehen gegen die Ordnung der Erwachsenen, bieten und am allerbesten, wenn das Kind nicht damit rechnet. Der Überraschungseffekt wird auch im Kriege gerne angewandt und da im Verständnis der bürgerlichen Spaßgesellschaft selbst die sexuelle Partnerschaft zwischen Mann und Frau gerne als (Rosen)krieg bezeichnet wird, wundert es nicht, dass auch die Erziehung oder Belehrung des Nachwuchses als dem Mars geweiht betrachtet wird. Der II Weltkrieg ist schließlich schon viel zu lange her und in irgendeiner, öffentlich akzeptierten Weise muss man seine Aggressionen, die man meint haben zu müssen, zum Ausdruck bringen.

Diese präventive Autoritätsinduktion wurde mir heute in der U-Bahn vorgeführt. Zunächst meinte ein Mann mittleren Alters, dass dabei etwas passieren könnte, wovon ich zunächst nicht wusste was es war. Die Antwort der Mutter gab dem Herrn zu verstehen, dass dem nicht so sei und das er, ein kleiner Bub, wie sich später herausstellte, nur spielte – wie sich noch später herausstellte mit eben jenem Drücker an der Wagontüre, den ich bereits, inklusive seiner (einzigen) Funktion, erwähnte.

Die daraufhin eintretende Ruhe wurde je von einer älteren Frau unterbrochen, die eine geraume Zeit über wortlos daneben gestanden hatte und sich plötzlich zum Kinde hinunterbeugte und ihm in aufgeregt strengen Tone anherrschte, es solle jetzt endlich aufhören da herum zu spielen. Ich stand zwar direkt daneben, da ich aber sowohl meinen Gesprächsfaden, den ich zu der Zeit zwischen den Zähnen mühsam zu halten versuchte, endgültig verloren hatte und auch gerade keinen zur Hand hatte, um mich über den Tonfall zu eschophieren, den Madame knapp an mir vorüber hallen lies, sagte ich nicht viel zu alledem. Im Nachhinein wurde mir die Causa in ihren recht banalen Einzelheiten und der noch banaleren Gesamtheit jedoch soweit klar, dass ich doch etwas sagen hätte sollen. Die beiden Aufregenden nämlich waren keine Familienmitglieder des Mutter-Kind-Gespannes und obwohl ich jedem Menschen das Recht zugestehe, sich über alles aufzuregen, das ihm gerade in den Sinn kommt, muss ich dieser Aufregung doch den Sinn absprechen. Für die beiden Nicht-Familienmitglieder hatte die Klugpupserei in der U-Bahn nicht einmal den Zweck, den familiären Konversations-Nonsens unter sich liebenden Menschen zu kultivieren. Was also dann? Gewöhnliche Wichtigtuerei des Einen, Aggressionsabbau des Anderen?

Ich verweise auf die vorhin angeführte Erklärung zur präventiven Autoritätsinduktion. Offenbar hatte sich eben jene fremde Frau verpflichtet gefühlt, der in ihren Augen vermutlich allzu toleranten Mutter unter die Erzieher-Arme zu greifen und ihren nichts sagenden Senf dem Kind (sowie natürlich der Mutter) – offenbar nicht-österreichischer Herkunft – in die Ohren zu schmieren.

Dass schlampig durchgeführte Autoritätsbekräftigungen der eigenen Person zu pädagogischen Maßnahmen selbst dann ins Leere gehen, wenn das Kind tatsächlich eine Tat begangen hat, die eine autoritäre Zurechtweisung empfehlenswert macht, sollte ich nicht schreiben müssen. Dass unreflektierte, unpassende Zurechtweisungen, die in ihrer Vorgehensweise den Wunsch implizieren möglichst Respekt einflössend zu wirken, so wie der geschilderte erzieherische Wiener-Schmäh in der Metro, ebenfalls ziemlich überflüssig sind, sei trotz allem Glauben an Menschheit hiermit geschrieben.

Einen Zweck hat die präventive Autoritätsinduktion nur dann, wenn man bestrebt ist, noch mehr verunsicherte, chronisch gestresste oder depressive Jungmenschen mit gestörtem Selbstbewusstsein auf die Menschheit los zu lassen. Doch wie ich zuvor ganz nebenbei, bezüglich der Kriegsverherrlichung in der deutschen Sprache, andeutete: Manche Menschen haben eine perverse, latente Zuneigung zu den (meist selbst nicht erfahrenen) Zuständen des II Weltkriegs und seiner Folgeerscheinungen menschlicher Grauslichkeit. Inwieweit die präventive Autoritätsinduktion (ähnlich wie der letzte Irakkrieg) also beabsichtigt ist und hierbei einer sadistischen bzw. masochistischen Charakter-Tendenz folgt, vermag ich nicht zu sagen – sicherlich variiert dies von einem Erziehungs-Ekel zum anderen.

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