Freitag, 25. Januar 2008

Begriffliches Tohuwabohu

Mindestens dreimal folgte im geringen Abstand die Erwähnung der radikal-islamischen Hamas, als gestern in der Tagesschau über die palästinensische Überwältigung des Grenzzaunes bei Rafah berichtet wurde. Dreimal, wenn nicht öfter, wurden wir daran erinnert, dass es sich bei jener Organisation, die durch Sprengungen, an der Absperrung zum ägyptischen Teil der Stadt, die Selbstversorgung der Bevölkerung des Gazastreifens mit Lebens- und Überlebensmittel ermöglichte, um eine radikal-islamische handelt. Es genügte nicht, dies einmal zu erklären, damit der Westen nicht vergisst, dass es sich bei der Selbstbefreiung aus dem Ghetto, um das Werk einer feindseligen Gruppierung handelt. Alles andere hat uns nicht zu interessieren. Die Hintergründe der Not im Gazastreifen, die Rolle Israels, die Stellungnahmen der Hamas oder ziviler Palästinenser, bleiben unerwähnt.

Zudem stellt sich die Frage: Handelt es sich nun um eine radikale islamische, eine radikale islamistische oder um eine radikale, militante und islamische Partei, wenn wir von der Hamas sprechen? Der Westen scheint sich darüber nicht ganz im Klaren zu sein.Völlig klar ist hingegen, dass wir mit den Palästinensern, die sich ihren Weg nach Ägypten bahnten, um sich und die Daheimgebliebenen mit den Dingen zu Versorgen, die ihnen durch Israel vorenthalten werden, nicht sympathisieren dürfen. Immerhin ist der palästinensische Ministerpräsident Mitglied der Hamas, die streng nach internationalen Terrorismus riecht und sicherlich mit dem Beschuss Israels durch Qassam-Raketen zu tun hat, auch wenn direkte Vorwürfe, seit dem Wahlsieg der Organisations-Partei, gerne unter den Teppich der Diplomatie gekehrt werden. Und selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die politische Partei der Hamas keine direkte Kontrolle über ihren militanten Flügel hat, so hat uns der Nachrichtensprecher dennoch ausdrücklich eingebläut: „Radikal-Islamisch“, was auf alle Fälle pfui-pfui ist und dezent darauf hinweisen soll, dass alle Taten der Hamas verdammenswert sind, selbst dann, wenn sie ihrer hungernden Bevölkerung die Selbst(!)-Versorgung mit Nahrungsmittel ermöglicht.

Denn Israel ist davon überzeugt, dass es keine humanitäre Krise in den von den Palästinensern kontrollierten Gebieten gibt und Israel ist immerhin ein moderner, westlich orientierter, demokratischer Staat. Er hat also – nach unserem Dafürhalten – selbst dann recht, wenn er unrecht hat.

Nach dem Brotkrümel der autonomen Selbstverwaltung, der den Palästinensern über den Zaun ihrer Strafkolonie zugeworfen wurde, herrscht immer noch kein Frieden im Heiligen Land. Und eine demokratisch gewählte Palästinenser-Regierung kann den Raketenbeschuss auf Israel nicht verhindern. Der Konflikt geht weiter, die Sanktionen und Boykotts auf Kosten der palästinensischen Bevölkerung ebenso und natürlich auch die Reaktionen jener Menschen, die nicht genau wissen, wo sich ihre Zukunft versteckt hält – vielleicht hinter jenem Zaun, der sie zu Gefangenen in ihrem eigenen Land macht? In ihrem eigenen Land, dessen autonome Verwaltung seine Wärter gnädigerweise gestatten, in dem jedoch keine Aus- oder Einreise, keine Versorgung mit dem, was Menschen benötigen, ohne die Erlaubnis Israels möglich ist. Selbiges zürnt nun den Ägyptern, welche die Ausreißer nicht nur nicht einfingen oder – wie es vermutlich die Israelis getan hätten – niederschossen, sondern welche sie zudem gewähren ließen, ihr spärliches, aber in den Autonomiegebieten unnützes Geld im Land der Pharaonen auszugeben.
Und wahrscheinlich stößt die ägyptische Toleranz auch deshalb auf israelisches Missverständnis, da man aus jüdischer Sicht traditionellerweise aus Ägypten ins gelobte Land zieht und nicht umgekehrt. Vermutungen...

Um konkrete Antworten oder wenigstens die erforderlichen Fragen scheint sich kein Schwein zu scheren und das hat nichts mit den Speißegeboten beider Hauptreligionen zu tun. Warum kommt es zu Konflikten, wenn man ein ganzes Volk unter Generalverdacht stellt und von allem was gut und heilig ist aussperrt? Weshalb entstehen militante Gruppierungen im Klima eines zu Tode boykottierten Gebiets brachliegender Wirtschaft, das sich komplett unter Kontrolle eines Staates befindet, der behauptet, eben jene Kontrolle an die so genannte Autonomie-Regierung abgegeben zu haben und der zugleich nicht verhehlt, dass er mit selbiger nicht einverstanden ist, weil sie teilweise „radikal-islamisch“ ist und ein erklärter Feind Israels? Warum gibt es unter den Palästinensern so viele Feinde Israels - Weil diese Moslems von Geburt an alle Antisemiten sind?

Fragen über Fragen, die sich vielleicht leichter klären ließen, als der geheimnisvolle Nebel, der das Verhalten der Israelis umgibt. Was würde wohl ein Israeli dazu sagen, wenn man ihm die Lebensmittelversorgung abdrehen, ihn wie einen Strafgefangenen behandeln und selbst simpelste Menschenrecht absprechend würde und zwar mit der Begründung: Einer seiner Landsleute habe mit Raketen auf die Palästinensergebiete geschossen. Ich weiß, dass die These von den Traumata des israelischen Volkes, das sie nun an das nächste Volk überträgt, über das es ausreichend Macht besitzt, ein wenig plakativ und spekulativ erscheint – darum bleibe sie hier unerwähnt. Und dass im Falle israelisch-palästinensischen Konfliktes mit zweierlei Maß gemessen wird, dürfte man von selbst bemerken. Reich gegen Arm, Gut gegen Böse, säkular-jüdisch (?) gegen radikal islam(ist)isch, Opfervolk der Vergangenheit gegen Tätervolk der Gegenwart – diese Polarisierung ist nicht nur unterschwelliger Bestandteil der meisten Berichterstattungen.

Wer Verständnis zeigt, mit einem eingesperrten Volk, das dem Radikalismus anheim fällt – anheim fallen muss – ist Islamisten-Sympathisant, Antisemit oder beides; selbst wenn man bedenkt, dass Verständnis nicht gleich Entschuldigung oder Gutheißung bedeutet, dass auch die Palästinenser der semitischen Sprachgruppe angehören und dass es ebenso israelische Juden gibt, welche die Palästinenser-Politik ihres eigenen Landes kritisieren. Differenzierungen und Analysen von Zusammenhängen und Ursachen scheinen in der Causa Israel unerwünscht, Bedacht auf die Wahl und den Einsatz von Begriffen vermutlich gerade dann eine freche Forderung, wenn man – so wie ich – aus dem Geburtsland Adolf Hitlers kommt (ohne dem jüdischen Glauben anzugehören). Dies suggerieren zumindest die Berichterstattungen der Nachrichten und wir sind daher ganz still, wenn eine Demokratie etwas Unrechtes begeht – denn eine Demokratie begeht niemals etwas Unrechtes. Radikal-islamische, radikal-islamische, radikal-islamische...Radikal-Islamische sind keine gerechten Beurteilung wert, meint der mediale Tenor.

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