Samstag, 17. November 2007

Älter

So wie ich die Jugend hinter mir lasse und auf geschwungenen Bahnen dem unscheinbaren Zenit meines Lebenskreises zugehe, so wandelt sich auch mein Körper, vom Jugendlichen zum Älteren – Älter, doch lange noch nicht alt und noch ein Stück von der Fassade entfernt, die dem ausgewachsenen Manne, vor dem Jungen, den Vorzug erteilt. Im Inneren jedoch, nimmt mein Körper gefestigte Züge an; einem jungen Baume gleich, dessen Rinde noch grün und glatt in der Sonne glänzt, dessen Inneres jedoch, bereits fest und stark geworden, die Blätter über Riesenköpfe wölben lässt. In solch einer Phase, groß geworden und doch noch nicht an die höchsten Höhen gelangt, massiv gewachsen und doch noch nicht im vollen Umfang stehend, ist man in der besten Zeit gefällt zu werden oder wird zu einem der Giganten des Waldes altern. Biegsam ist noch der Stamm, weich und glatt erscheint die Rinde. Doch am Äußeren, man selbst erkennt es am besten, bilden sich die Auswüchse, Rillen und Narben, die für den Rest der körperlichen Existenz verweilen.
Zugleich hat das innere Wesen, meilenweit vorausgeeilt, schon seine Furchen und Ritzen, Kanäle des Lebens, gegraben von Schmerz und Lust. Es umhüllt sie mit festem Fleisch und was einst den Seelenleib durchbohrte, seine Spuren bleiben bis zum Schluss.
Wie zart und biegsam wogte ich mich stets im Wind und ahmte seine Bewegungen nach. Kam ein Sturm so beugte ich mich weit seiner Macht. Kam ein Rindenfresser, so tarnte ich mich unter vielen. Und zerbrechlich war, dass ich nicht zu grünen und blühen wagte, auf dass niemand mich gebrochen und fortgenommen. Nun überrage ich die flachen Hügel, das große Elternhaus, jedes Tier und Monster des Waldes. Breit entfache ich mein Blätterdach und vielfach ergießt sich die Sonnennahrung auf mein Haupt. Zwar wachse ich noch und meine Wurzeln und Armee drehen sich, in energetischen Spiralen in die kosmischen Fluten hinein – breiter, größer, stärker werdend. Ich sättige mich nun im tiefsten Erdreich und trinke mein Wasser aus den dunkelsten Brunnen. Nun rührt der Wind mich sanft nach seinem Weltengesang und der Sturm bricht mich eher, bevor er mich beugt. Den Rindenfressern trotze ich mit erhabenem Wuchs und würdevollem Atem und kein Menschenfinger wird meinen Stamm zerknicken, ohne die Gewalt der Maschinen zu anzuwenden.
Die Kindheit ist lange vorbei, ihr Nachgesang ein fernes Echo im widerhallenden, offenen und dachlosen Gang der Jugend, dessen Ende ich nun entwachsen bin.
Ein Geist des Waldes bin ich nun und die Kinder bangen nun vor mir, umfangen im Spiel lachend meinen Bauch oder liegen im Schutze meiner Äste, vor Sonne und Regen und bösen Gedanken. Und manchmal, wenn der Wind in meinem Haupte leise musiziert, lauschen sie meinen Geschichten und ich begegne dem Kinde wieder, das ich hinter nahe einem halben Kreisbogen bin – einen Sonnenkreis mehr, einem Mondkreis weniger, den Gestirnen macht es nichts.
Der Tod ist kein Unvorstellbarer mehr, denn das Sterben beginnt mit dem Erstarren der Masse und dem Erstarken des Safts. Mit dem Sterben beginnt das Leben – Es beginnt neu, in lebhafteren Zügen.

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