Montag, 17. September 2007

Vermeintliche Dreifaltigkeit eines Problems

Was ist europäische Kultur? Warum wird immer nur über die Schale gesprochen, niemals über den Kern des Problems?

In Österreich wird nun, wie bereits in anderen europäischen Ländern, über die eigene Rolle innerhalb im Weltgeschehen um den islamistischen Terrorismus kommuniziert.
Es wurden unlängst drei Verdächtige festgenommen, die an der Herstellung von Drohvideos, einer islamistischen Gruppierung, beteiligt gewesen sein dürften. In Wien wird kurze Zeit später gegen ein islamisches Kulturzentrum demonstriert. Die Bedenken der Aktivisten der Bürgerinitiative, die sich gegen den Ausbau dieses Zentrums richten, werden von FPÖ und rechtsradikalen Gruppierungen und Institutionen unterstützt und zu einem Feldzug, gegen islamische Kultur an sich, aufgebauscht. Aus dem Protest gegen ein – aus Sicht der Anrainer – bauliches Problem, wird eine fremdenfeindliche Aktion. In der Summe der Berichterstattungen lässt sich die altbekannte Dynamik einer aufgepeitschten Massenansammlung erkennen, in der sich die Menschen allmählich in einen Mob verwandeln. Vermutlich gibt es weniger tatsächliche Fremdenfeinde, Antiislamisten oder Rassisten unter den 700 Personen, die am 13.09.07 in Wien-Brigittenau demonstrierten, als es den Anschein hat, doch aus der Geschichte wissen wir bereits, dass es wenige geschickte Antreiber braucht, um Unschuldige in Monster zu verwandeln.

Anyway: Die Thematik wurde erneut angeheizt, doch bevor ich hier schreibe, es handle sich um eine Diskussion rund um den Islam und dessen Ismus, möchte ich genau dies in Frage stellen.

Gestern diskutierte man, in der ORF 2 TV-Sendung „Im Zentrum“, zum Thema „Vernetzt mit Al Kaida“, was bereits eine Feststellung zu sein schien. Interessant war, dass nicht nur über den islamistischen Extremismus in Österreich und dessen Verbindungen mit der globalen Al Kaida-Problematik gesprochen wurde. Auch die Auswahl der Gäste lies nur bedingt darauf schließen, dass es im Grunde nicht allein um den Terrorismus ging. Neben zwei Vertretern dessen, was man pauschal als „den Islam“ bezeichnet, waren eine Politikwissenschaftlerin, ein Islamforscher, der auch als „Orientalist“ betitelt wurde und unser Innenminister Günther Platter an der Runde mit Peter Pelinka beteiligt. Keiner von den Anwesenden konnte sich als Terrorismus-Experte auszeichnen. Dies war wohl der Hauptgrund dafür, dass neben Terrorismusgefahr in Österreich, anhand derer man natürlich vor allem auf die drei bzw. vier kürzlich Verhafteten ansprach, auch über den Islam als Religion und die Integration von Immigranten geredet wurde - Drei Themen, die, angesichts der aktuellen medialen Sinnsuche, miteinander zu verschmelzen scheinen.
Natürlich tangieren die Probleme der Integration von Immigranten aus ärmeren Regionen, der Identitätsfindung österreichischer Minderheiten, welche zur Lieblings-Zielscheibe des Rechtsradikalismus wurden, und der islamistisch motivierte Terrorismus einander. Doch während, wie ich es hier formuliere, zu Beginn der Diskussionen um den Islamismus und Al Kaida, die nach den Anschlägen vom 11. September. 01 notwendig wurden, von islamistisch motivierten Terrorismus gesprochen wurde, wähnt der allgemeine mediale Sprachgebrauch den Terrorismus nur noch als islamische Angelegenheit.
Es ist wenig konstruktiv, verbindlich alle drei Themenbereiche auf einmal zu besprechen, ohne die einzelnen Problem genauer ins Auge zu fassen. Die Diskussion „Im Zentrum“ erscheint mir nur als ein Beispiel, für eine weit verbreitete Zuneigung zur Oberflächlichkeit bezüglich der zu diskutierenden Schwierigkeiten. Will man vielleicht gar nicht in den Kern der Angelegenheit vordringen?

Immer wieder wird in den diversen Medien, so oft, dass mir nun keine einzelne Person als Beispiel einfallen will, von, vermutlich gebildeten Menschen, festgestellt, dass es sich beim Islam nur um eine Schutzdecke handelt, unter der sich Terrorismus abspielt. Der Islam sei dem islamistisch motivierten Terrorismus also eine Hülle. Warum, meist von den selben gebildeten Menschen, daraufhin aber weiter ausschließlich über diese Hülle gesprochen wird und nicht über die Systematik und das Wesen dessen was darunter liegt – den Kern des Problems – kann ich nicht verstehen.

Zweifellos gibt es, seit Anbeginn der Geschichtsschreibung Migration und die Problematik der Integration von Migranten. Dass es in unseren Tagen bzw. in unseren letzten zwei Jahrhunderten zu besonderen Problemen zwischen sogenannter Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten kam, liegt sicherlich zum Teil an der recht unflexiblen Struktur der Nationalstaaten bzw. nationalistischen Staatsgebilde. Dass jedoch die scheiternde Integration eine der Hauptquellen des islamistisch motivierten Terrorismus und seiner Sympathisanten sei, kann ich nur bedingt glauben. Erstens müsste, in einem solchen Fall, das Phänomen von Drohvideos, aus technischen Gründen in anderer medialer Form, in Österreich und anderen europäischen Ländern bereits länger geben; Zweitens hätte das Phänomen wohl größere Ausmaße. Die Integration wurde von Seiten des Staates bisher nicht begünstigt, weil sie gar nicht gewollt war oder ist. Man begnügte sich bisher stets damit, auf die Rückkehr von Gastarbeitern in deren Ursprungsländer zu warten oder auf die selbstständige Anpassung zu hoffen. Die mangelnde Integration ist ein Problem unserer Fahrlässigkeit und Gastunfreundlichkeit, aber nicht die Ursache für Bomben in Kabul. Der Terrorismus Al Kaidas kommt von Außerhalb, was natürlich nicht ausschließt, das er innerhalb Europas geschieht – man nützt die Möglichkeiten unserer Zeit.

Was den Islam und Menschen betrifft, die in seinem Namen Terror verüben, so bin ich dieser Diskussion bereits müde. Sehr müde.
Wir sollten als die Privilegierten, als die gebildeten Europäer mittlerweile wissen, dass „faschistoider“ Terror und dessen Diktaturen, auf Basis jeder beliebigen Ideologie fußen können. Ich muss auch nicht mehr sagen, oder muss ich es doch, dass der Islam stärker von jeweiligen Kulturen und aktuellen politischen Strömungen beeinflusst wird, als dies umgekehrt geschieht. Dies gilt ebenso für andere Religionen, auch wenn sich beispielsweise die Katholische Kirche gegen die Modernisierung, durch eine europäischen Zivilgesellschaft oder andere Notwendigkeiten unserer Zeit, etwas sträubt.

Doch was ist diese europäische Zivilgesellschaft? Meines Erachtens das, was sich im Laufe des letzten Jahrhunderts innerhalb der jeweiligen europäischen Nationalstaaten an republikanisch demokratischen Bewusstsein gebildet hat. Dazu gehört das Ende des Zweiten Weltkrieges genauso, wie die Bewegungen um die 1968er, die Aufarbeitung des Holocausts, der Feminismus, wie auch die Homosexuellen-Bewegung. Gerade die Aktivitäten von Minderheiten und Ausgegrenzten, ihr Anspruch auf Gerechtigkeit, verhalf der Gesamtheit der europäischen Gesellschaft zu ihrem sozialen Fortschritt. Dies ist jedoch vor allem eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die gezeigt, wie fruchtbar Integration und Anerkennung von Minderheiten für Alle sein kann. Vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs galten die Rechte von Minderheiten weitaus weniger. Der Antisemitismus ist keine Erfindung der Deutschen und es lässt sich nicht übersehen, dass die „europäische Kultur“, neben ihren Errungenschaften, auch die Kultur der größten Kriege der Menschheitsgeschichte ist.
Wie können wir uns also Anmaßen, im Sinn einer konservativen bzw. rückläufigen politischen Anschauung, die europäische Kultur und ihre Werte, über Andere zu stellen, da doch gerade diese Anmaßung der Europäer der Ursprung von so vielen Verbrechen war, die sich im Lauf der früheren und jüngeren Geschichte unserer Gemeinschaft zutrug.
Die positiven, konstruktiven, heilsamen Werte unserer europäischen Kultur, beginnen mit der Anerkennung der Freiheit und Rechte aller Individuen und diese wurden effektiv erst allmählich, in den letzten Jahrzehnten, umgesetzt – und wir sind immer noch nicht am Ziel.
Nun aber lassen wir uns von all jenen zureden, die von der Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht profitierten, da sie ihr Prestige mit anderen teilen mussten, diese Werte einer demokratischen Zivilgesellschaft, einer Europäischen Union demokratischer Zivilgesellschaften, zu verraten. Es wird ernsthaft darüber gesprochen, die Muslime ihrer Menschenrechte zu berauben, weil man Angst vor islamistisch motivierten Terror hat, von dem wir wissen, dass er den Islam ausschließlich als ideologisches Trägersystem missbraucht.

Warum wird mit FPÖ, BZÖ & CO, einzelnen ÖVP-Mitgliedern, diesen Fundamentalisten einer veralteten europäischen Elite-Gesellschaft, ernsthaft über Maßnahmen zur Unterdrückung der islamischen Minderheit diskutiert. Diskussion ist wichtig, doch es erschreckt mich, dass wir die thematische und argumentative Vorgehensweisen dieser Frau- und Herrschaften, innerhalb der wesentlichen Kommunikation, ernst nehmen und nicht als das was sie sind: Eine Gefahr für die europäischen Werte. So die Rechte von Minderheiten, dank der Angstkampagnen der europäischen Rechtspopulisten, islamisch oder nicht, eingeschränkt werden, hat Europa versagt. Wenn bestimmte Rechte für meinen muslimischen Nachbarn nicht mehr gelten oder für das binationale Ehepaar, das über mir wohnt, wer garantiert mir dann, das meine Rechte auf Dauer bewahrt bleiben.
Ich sehe aus wie ein durchschnittlicher Europäer und in meinen Pass steht, dass ich dem Katholizismus zugehörig bin, was aber lässt die Mehrheitsgesellschaft – sofern es sie überhaupt gibt – glauben, dass ich besser integriert sei, als andere? Meine Sprache, meine Staatsbürgerschaft, meine offizielle Religionszugehörigkeit?
In einer europäischen Zivilgesellschaft freier Individuen muss die Freiheit für alle gelten – sonst funktioniert sie nicht, sonst ist sie nicht mehr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus